
Leb wohl, kleine Kürbis-Konkubine -Drama in vier, fünf Akten
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Jokes, jeglicher Dummfug oder einfach nur um zu quatschen
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- pofpof Offline
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Leb wohl, kleine Kürbis-Konkubine - 5. Akt
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Fünfter Akt
Es treten auf: Eine KTM 625 Supercompetition,
die A2, der Harz-Ring, ein letztes Rennen, Peter Gabriel,
ein Arzt, das LuK Driving Center, Waldemar Hartmann
und schon wieder viele Erinnerungen
Erste Zeichen für ein kommendes Ende
Der Kaffeepott dampft gemütlich vor sich hin, während ich eine Rechnung in den Händen halte. Das Telefon hat noch einige Male geklingelt, immer brauchte ich nur einen Satz zu sagen: „Die ist schon weg.“ Die Rechnung belegt den Eingriff in das Maschinenherz meiner orangen Liebe. Über den Spezialisten aus Oberhausen hatte ich einst eine Doppelseite für ein beliebtes Motorrad-Fachmagazin geschrieben und schon damals mein Interesse für eine Triebwerk-Fitnesskur angemeldet. Seitdem sind wir uns nach und nach vertrauter geworden und manchmal bin ich einfach so zu seiner Werkstatt gefahren, um ein bisschen zu plauschen und mich umzusehen. Vor zwei, drei Jahren bin ich zuletzt dort gewesen. Neulich hörte ich dann, dass er sich inzwischen zur Ruhe gesetzt hat. Meine Erinnerung zeigt mir Bühnen, auf denen halb zerlegte 520er oder die damals brandneuen 660er stehen, Ölduft steigt mir in die Nase und im Hintergrund läuft gerade eine Supercomp auf dem Prüfstand. Melancholisch lege ich die Rechnung zur Seite und werfe den Kopfkino-Projektor wieder an.
Ich versuche es wieder. Eines Samstagmorgens unter der Dusche treffe ich die Entscheidung, dass ich nun genug Trübsal geblasen habe. „Stelle dich deinen Zweifeln!“ Pino war plötzlich in meinem Kopf aufgetaucht, als ich mir gerade den Hals glatt schabte. Es ist inzwischen März geworden und es ist ein angenehmer Tag. Schnurstracks marschiere ich zur Garage, ziehe die Plane von der KTM und schaue nach, wie viel Sprit noch im Tank ist. Dann trete ich sie zurück ins Leben. Und als ob sie nur darauf gewartet hätte, ist sie beim zweiten Kick da, tänzelt auf dem Ständer und will hinaus in die Sonne. Kurze Zeit später sind wir unterwegs. Zuerst verhalten und verkrampft, keine Spur von Übermut und tiefen Schräglagen. Doch nach einer Stunde ist der Tank leer und ich gebe ihr neuen Saft zu schlucken, genieße ganz allmählich ihr knorriges Grunzen und das gierige Schlürfen aus der Airbox und dann suche ich im Bergischen Land nach engen und engsten Kurven. Ich bin zurück. Zurück in meinem alten Leben. Ich höre ihre Maschinenstimme und schreie vor Freude. Ich fahre, bis ich nicht mehr auf diesem Folterbalken, der sich „Sitzbank“ nennt, sitzen kann. Ein paar Wochen später melde ich mich für ein Supermoto-Training auf dem Harzring an.
Für zwei Tage Spaß auf der ungefähr 50Km südlich von Oschersleben und mitten im Nirgendwo gelegenen Strecke muss ich diesmal eine nervtötende, von endlosen Staus garnierte und furchtbar öde Anreise in Kauf nehmen. Auf der „Warschauer Allee“, wie die Autobahn A2 im Volksmund heißt, reiht sich Stau an Stau und LKW an LKW. Für die ersten 150 Kilometer raus aus dem Ruhrpott habe ich nahezu drei Stunden gebraucht. Wenn das so weitergeht, bin ich irgendwann in tiefer Nacht an der Strecke. Und es geht so weiter. Im Rennschneckentempo kriecht die Karawane das endlos scheinende, schwarz-graue Asphaltband entlang, Sonne und kurze Schauer wechseln sich ab, der Diesel nagelt und unter der Windsschutzscheibe verschwindet zäh Kilometer um Kilometer. Es ist fast 22.00 Uhr, als ich Aschersleben erreiche. Von dort ist es nicht mehr weit. Spätere Supermoto-Jünger und Harz-Ring-Fans haben es etwas leichter – der Autobahnausbau wird dann abgeschlossen sein und man kann fast bis vor den Fahrerlager-Eingang brettern, ohne ewig über Landstraßen tuckern zu müssen. Zugegeben, ich mag das Bummeln durch die nur hin und wieder von kleinen Örtchen unterbrochene unverbaute Weite dort, aber manchmal darf es ruhig ein bisschen schneller gehen.
Am Nachmittag des ersten Tages habe ich starke Schmerzen in Achillessehnen, Knöcheln und Knien. Während der Törns auf der endgeilen Strecke hatte ich das Zwicken ignoriert und mich sehr auf mich und meine Fahrerei konzentriert. Einer, den ich letztes Jahr noch mühelos paniert hatte, ging in der Bremszone nach der kurzen Gegengeraden innen mit einem Mega-Drift durch und war eine halbe Runde später schon uneinholbar weit weg. Mir war das egal. Ich fuhr. Ich freute mich darüber, dass ich fuhr. Und ich fuhr ohne Angst. Vorsichtig zwar, immer noch vorsichtig, aber ich hatte keine Angst mehr, zu stürzen. Am Abend sollte es ein Spaß-Rennen bei Flutlicht geben. Ich beschloss, mitzufahren.
Die Schmerzen führe ich auf die stundenlange Sitzfolter in meinem ollen Peugeot zurück.
Definitiv kein Fahrzeug für Menschen mit einer Schulterhöhe jenseits einmetersiebzig.
Ich gehe ein bisschen spazieren und hoffe, durch die Bewegung wieder Ruhe in meine Knie zu bringen. Ich laufe dort, wo es möglich ist ohne den Fahrbetrieb zu stören, an der Strecke herum und freue mich schon wieder. Ich freue mich über die Wärme der Sonne auf der Haut, über die Supermotos, die Runde um Runde über den Harz-Ring ballern, darüber, dass ich den Rost im Kopf wohl erfolgreich abgeschmirgelt habe und darüber, dass ich hergekommen bin. An der Strecke habe ich meist in Null-Komma-nix keinen Alltagsballast mehr im Hinterkopf, der ewig tropfende Wasserhahn mahnt nicht mit Plänen und Aufträgen, die es zu fassen oder zu erledigen gilt, hier gibt es keine überfüllten Straßenbahnen, keine rempelnden Fußgänger, keine nervende Rush Hour.
Hier wird „gewemst“, wie der Supermoto-Jünger zu sagen pflegt, und abends wird gegrillt und Benzin geredet. Was hier leider auch langsam Einzug hält, sind die überlauten Krakeeler, die sich alkoholvernebelt für superlustig und unbesiegbar halten und so einen Lärm machen, dass an Schlaf vor drei Uhr früh kaum zu denken ist. Ich frage mich, wie diese Spezies am anderen Tag mit dickem Schädel vernünftige Törns fahren wollen.
Beim Le Mans Start zum Spaß-Rennen über 15 Runden und drei Minuten komme ich recht gut weg und reihe mich im vorderen Mittelfeld ein. Eine Stunde vorher war ich derart aufgeregt, dass ich erstens alle fünf Minuten meinte, pinkeln zu müssen, und zweitens überzeugt war, dass ein Rückzug meiner Nennung auf jeden Fall die bessere Variante wäre. Ich hatte alte Knochen geworfen und im Kaffeesatz gelesen. Außerdem hatte ich dem großen Uffzynd, dem Gott aller redlichen Aufzünder, einige kleine Grillwürstchen geopfert. Eine Antwort auf meine bange Frage des Mitfahrens oder Kneifens hatte ich trotzdem nicht erhalten. Und das war gut so. Denn jetzt klebe ich am Hinterrad meines Vordermannes und suche nach der Lücke, ich die ich stechen könnte. Kein Gedanke mehr an rutschende Vorderräder oder das profan klingende Schleifen und Scharren, das zu hören ist, wenn ein Motorrad über den Asphalt trudelt. Meine Supercomp ist hungrig und sprintet bissig hinter meinem Vordermann her. Schnappt nach seinen Stiefelhacken und Flanken, will vorbei. Ein paar wirklich schöne Bremsduelle kann ich gewinnen. Zwei, drei Plätze hole ich, verliere einen dann gleich wieder an einen Schnelleren, attackiere, verbremse mich, verliere die aufgeholten Plätze wieder. So geht das ein Weile, bis ich spüre, wie mir langsam die Puste ausgeht. Ich beiße auf die Zähne und schwöre, sofort nach meiner Rückkehr an meiner Kondition zu arbeiten. Mein Hauptantrieb schaltet auf Notstrom. Im Cockpit blinkt die Warnleuchte mit der Sauerstoffflasche auf. Dann endlich das Schild, welches die letzte Runde signalisiert. Meinen Vordermann hole ich doch noch in der allerletzten Kurve. Einige Zeit habe ich mir angeschaut, was er macht und wo er zu packen wäre. Jetzt bremst er später als sonst, geht weit, ich bleibe eng innen und gehe hart ans Gas, das Vorderrad will steigen, ich bleibe drauf und lege meinen Oberkörper vor, den Kopf runter, Zielflagge. Den angebotenen Handschlag ignoriert mein Gegner. Vielleicht hat er auch gar nicht mitbekommen, was ich von ihm wollte. In der Auslaufrunde schicke ich ein Dankesgebet an den großen Uffzynd und verspreche ihm, dass ich nachher mindestens ein großes Glas Rotwein leeren und ein sorgfältig gegrilltes Putenschnitzel verzehren werde, um ihn zu ehren. Zufrieden liege ich später in meinem Transporter auf der Ladefläche im Schlafsack, höre Peter Gabriel zu und betrachte die paar Sterne, die ich durch die beiden Rückfenster sehen kann. Ich bin glücklich und ein wenig melancholisch zugleich. Ich habe den Weg zurück gefunden. Weil ich es versucht habe. Weil sich alles in meinem Kopf abgespielt hat. Dass ich einen heftigen Sturz hatte und mich dabei verletzt habe, ist und wird ja nicht die Regel sein. Dass ein Reifen sofort wegrutscht, sobald man das Motorrad in Schräglage bringt, ist ja auch nicht wahr. Dass ich manchmal überzeugt bin, eine Wurst zu sein, ist dagegen amtlich. Aber auch daran bin ich selbst schuld, weil ich meinen Kopfsalat manchmal nicht geordnet bekomme.
Am Morgen werde ich von den schmerzenden Knien wach. Bis ich hoch und aus dem Transporter bin, vergehen um die fünf Minuten. Stehen und gehen ist eine Qual. Bis zum Mittag lassen die Schmerzen nach und ich kann endlich daran denken, meine Kürbis-Konkubine zu besteigen. Zwei Monate und einige Schmerzschübe später sitze ich in einem Wartezimmer.
„Lass dich mal auf Rheuma testen.“ Der Arzt meines Vertrauens schaut mich fest an. „Rheuma? Ist das nicht was für Opas?“, frage ich ihn und erfahre, dass Rheuma eine Erkrankung des Immunsystems ist und autoaggressiv die eigenen Gelenke befällt. Und das manchmal schon bei Kindern. Ein paar Tage später meldet der Rheumatologe: „Volltreffer!“
Ich bin also ein von chronischer Polyarthritis befallener Rheumatiker und schon längst mitten im Rennen meines Lebens um Beweglichkeit und Wohlbefinden, obwohl ich gar keinen Startschuss gehört habe.
Inzwischen sind die Gelenkschmerzen gute Bekannte von mir geworden, die ich beim Vornamen nenne und die mich beinahe täglich besuchen.
Morgens steif zu sein hat bei mir eine völlig andere Bedeutung bekommen. An manchen Tagen komme ich kaum aus dem Bett und verbringe die ersten Stunden in stiller Verzweiflung, bis endlich die Schmerzmittel wirken. Eines Sonntag-Abends, kurz vor dem „Tatort“, kann ich dabei zuschauen, wie mein rechtes Handgelenk langsam so dick wie eine Apfelsine wird.
Auf meine geliebte Kürbis-Konkubine zu klettern fällt mir immer schwerer. Das Bein für den Tritt auf den Kickstarter zu heben, ist irgendwann unmöglich. In meinen beiden Hüftgelenken tobt der dritte Weltkrieg. Zumindest fühlt es sich so an. Manchmal ist es auch wie eine Fräse, die sich scharfmetallen durch die Gelenke frisst. Egal, wie es sich anfühlt, an manchen Tagen möchte ich einfach nur den Kopf gegen die Wand schlagen, weil der Schmerz unerträglich ist. Ich will nicht aufgeben. Der Versuch, die LC4 anzukicken, indem ich mich auf den Hubständer stelle, gelingt mir zwar, aber das Aufsteigen ohne Hilfsmittel klappt nicht. Selbst wenn ich die KTM schräg lege und dann das rechte Bein über die Sitzbank schwinge habe ich größte Schwierigkeiten, das Motorrad anschließend aufzurichten. Am Ende mache ich es so: Vom Hubständer aus ankicken, dann den ersten Gang rein, den linken Fuß auf die Raste, anfahren, und im Anfahren wie beim Fahrrad das andere Bein über die Sitzbank schwingen. Absitzen funktioniert dann mit dem Schräglegen der Maschine. Ich frage mich, wie lange das noch so funktionieren mag. Mit der Monster komme ich besser klar. Kein Wunder, die Italienerin hat keine alpinen Affinitäten und liegt einfach tiefer. Damit kann ich wenigstens herum kullern, denn von fahren kann kaum noch die Rede sein. Meine Beweglichkeit ist mittlerweile kaum noch der Rede wert, ich turne geschmeidig wie ein Doppel-T-Träger auf der Bologneserin und könnte ständig in den Helm heulen. An die Laaks-Yamaha brauche ich gar nicht zu denken. Das Zusammenfalten in die rennmäßige Embryonenhaltung würde mir nur mit Hilfe einer Presse gelingen. Aufsteigen kann ich nur, wenn jemand das Motorrad fest hält.
Dann ist für eine Weile ganz Feierabend. Selbst das Bummeln im Bergischen mit der Monster wird zu gefährlich, weil ich durch meine Unbeweglichkeit nur noch langsam reagieren kann.
I’ll be back – Der Rheumator
Mehr als ein Jahr ohne Motorradfahren habe ich hinter mich gebracht. Inzwischen bin ich auf der Nadel und schieße mir gegen die Rheumaschübe einmal in der Woche ein Präparat unter die Bauchhaut, dass auch in der Tumorbekämpfung eingesetzt wird. Dazu gibts täglich Cortison und als Antidot zu der gelblich-trüben Injektionssuppe einmal in der Woche Folsäurepillen. Damit komme ich halbwegs klar, auch wenn mich nasskaltes Wetter regelmäßig ausschaltet. Alternative Behandlungsmethoden habe ich versucht und wegen Erfolglosigkeit und der hohen Kosten wieder verworfen. Von den Medikamenten ist mir regelmäßig derart übel, dass ich in der ersten Stunden des Vormittags kaum einen klaren Gedanken fassen kann. Die Rock-Coverband, in der ich nach längerer Musik-Abstinenz spiele, feuert mich. Ich war einfach nicht mehr in der Lage, regelmäßig zu proben und ein Unsicherheitsfaktor für Gigs. Manchmal hatte ich eine handvoll Schmerzmittel der Sorte „Vergiss alles was weh tut für drei Stunden“ eingeworfen, um einen Auftritt überhaupt hinter mich bringen zu können, auch wenn ich alles andere als fit war. Nach drei Jahren ohne Spielerei war ich eingestiegen und wollte dort mit Led Zeppelin Songs und anderen Rock-Gassenhauern mein musikalisches Altenteil verbringen, nachdem ich die Auflösung der Roots-Rock-Band verdaut hatte, die 11 Jahre lang so etwas wie ein Weltmittelpunkt für mich gewesen war und mit der ich Plattenvertragsverhandlungen und eine Europatournee erlebt hatte. Jetzt packe ich Drumset und Becken in die Cases, gebe den Proberaumschlüssel ab und verlade den ganzen Kram in den Bauch von Waldemar Hartmann. Ich vermisse die Motorradfahrerei. Ich vermisse die Musik. Seit sich die Symptome gezeigt und ich die Diagnose bekommen hatte, war auch Schluss mit Sport. Irgendwann funktionierten auch Liegestütze und Sit Ups nicht mehr, ganz zu schwiegen von Fitness- oder Hanteltraining, was ich früher sehr gern gemacht hatte.
Ich will nicht aufgeben. Manchmal geht es mir ganz gut, und dann versuche ich sofort, ob ich auf ein Motorrad komme. An meiner geliebten Kürbis-Konkubine scheitere ich jedes mal. Und wenn ich es doch mal schaffe, ist die Sitzposition unerträglich. So sehr es mich betrübt, in mir keimt der Gedanke an einen Abschied von meiner heißen Österreicherin, von meinem geliebten Spaßgerät, meiner treuen Bolzmaschine. An einem warmen sonnigen Samstag schiebe ich sie vor die Haustüre und beginne mit einer rituellen Reinigung. Sauber ist sie sowieso, aber jetzt will ich ein letztes Zwiegespräch, will ihr erklären, warum sie nicht bei mir bleiben kann. Ich will mich verabschieden. Alle Plastikteile werden auf Hochglanz gebracht, die Aluminiumschwinge poliere ich sorgfältig und bringe jede einzelne Speiche zum Blitzen. Trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen und fühle mich wie ein Verräter.
Eines Tages sitze ich wieder in der Küche, habe den Einstichbereich desinfiziert, die Spritze in der Hand, aber ich bringe es nicht fertig, die Kanüle unter die Haut zu schieben. Teilweise ist die Haut verhärtet von der Stecherei, und ich bringe dort die Nadel sowieso nicht rein. Ich setze erneut an und schaffe es wieder nicht. Ich beiße auf die Backenzähne, kneife die Lippen zusammen und schiebe die Nadel Stückchen für Stückchen millimeterweise unter die Haut. Dann drücke ich langsam den Kolben hinunter, bis die Flüssigkeit komplett aus dem Glasröhrchen und unter meiner Haut ist. Ich bin fertig. So oder so. Es kostet mich ungeheure Kraft, die Krankheit einfach Krankheit sein zu lassen und den Tag zu genießen. Ich fühle mich mies und minderwertig. Und ich lasse das an meiner Umgebung aus, wofür ich mich erst recht hasse. So kann es nicht weitergehen. Ich muss Klarheit schaffen, muss mich entscheiden, mich den Tatsachen stellen. Ich muss den Weg zurück zu mir finden, muss das innere Pendel wieder zum Schwingen bringen. Ich bin nicht bereit, mein Schicksal einfach so hinzunehmen, so lange ich noch irgendwas tun kann. Selbst wenn ich meine Leidenschaft aufgeben und meine Motorräder verkaufen muss. Wichtig ist, dass ich aus der Falle herauskomme, die meine Gedanken blockiert, meine Empfindungen fehl steuert und mich ungerecht sein lässt. Ich bin sicher: Wenn ich es schaffe, mich selbst wieder gut zu finden, dann schaffe ich auch beinahe alles andere. Ich will nicht aufgeben!
Soll ich die Supercomp einmotten und warten, bis ich wieder so weit stabil bin, dass ich wieder wemsen kann? Und wenn das nie passiert? Oder soll ich mich auf Monster und Yamaha konzentrieren und die KTM in gute Hände abgeben, damit sie wieder richtig spielen kann? Diese Frage beantwortet mein Körper, denn allmählich verschwinden die Fräsattacken in den Hüftgelenken. Dafür spielen Schultern und Handgelenke verrückt, völlig ungeeignet für den Einsatz auf Spaßgeräten aus Mattighofen. Ich gebe mir selbst einen Kampfnamen, der mich immer daran erinnern soll, niemals aufzugeben. Ich nenne mich insgeheim und für mich selbst „Der Rheumator“.
In den folgenden Wochen warte ich auf die Effekte einer Neueinstellung mit Medikamenten. Von der Nadel bin ich runter. Das ging vom Kopf her gar nicht mehr. Dafür ist die Dosis in Tablettenform inzwischen auf Maximum, wirkt aber schlechter. Doch ich denke positiv. Außer, wenn ich die Nachrichten schaue.
Dann geschieht so etwas wie ein Wunder: Ich bin relativ gut beweglich und nahezu schmerzfrei. Und obendrein scheint die Sonne, es ist ein schöner und warmer Tag Mitte April. Wenig später stecke ich im Schwabenleder und ballere mit der Monster im Bergischen Land herum. Liege über eine Stunde in einer Wiese und schaue den Wolken zu, die über mich hinweg ziehen. Ich bin dankbar dafür, dass ich an diesem Tag fahren kann und muss ein bisschen heulen. Später, auf dem Rückweg, treffe ich auf ein Rudel Poser auf aktuellen Superbikes. Shiny toys. Alles sieht brandneu aus – die R-Einsen, Blades und Gixxer blinken und blitzen, alles an verbautem Zubehör ist mit rhythmisch blinkenden Pfeilen aus bunten Neonröhren versehen, damit man ja nicht übersieht, wie viel Kohle dort versenkt wurde. Die blütenreinen Dainese- und Arlen Ness Zweiteiler quietschen noch, so neu sind die. Eigentlich will ich damit nichts zu tun haben und in eine andere Richtung abbiegen, aber dann regt sich der Rheumator und will bestrafen. Ich fahre eine Weile als Letzter am Ende dieser Truppe und schaue mir das Spiel „Gerade: Volles Rohr – Kurve: Schleichfahrt“ eine Weile an und überzeuge den Rheumator in mir, die Füße still zu halten. Sollen die Jungs doch ihren Spaß haben, jeder nach seiner Facon, wie der alte Fritz schon zu sagen pflegte. Dann beschließe ich, zur Eröffnung des neu gebauten Trainingskurses „LuK Drivingcenter Baden“ zu fahren und dort dem Rheumator ein wenig Auslauf zu gönnen.
Sofern meine Gräten mitspielen.
Am LuK käbbele ich mich im Sommer dann mit einer LC8. In der dritten Runde des Törns bin ich am Ende der Gegengeraden in der Bremszone vorbei gegangen, obwohl der LC8-Treiber sein oranges Kraftpaket mit ausgefahrenem Bein im Supermoto-Style durchaus schnell zu bewegen wusste. Erst zwei Runden vor Ende des Törns konnte er kontern. Ich war einfach schlecht aus der Kurve auf die Gegengerade gekommen und die LC8 spielte um die 35PS an Mehrleistung aus. Überholt hat mich einiges an PS-protzigen Einspurfahrzeugen und kundigen Reitern an diesem Tag, ein rasender Schuhverkaufer spaltet mich auf einer K1200S aus dem Fuhrpark des Betreibers, ein gewisser Hanebub zeigt mir das Heck seiner R1 und lässt sich später beim Betrachten seiner Onboard-Aufnahmen über die Schulter schauen, und das Heizerle Jo Bauer zeigt, was ich nie gelernt habe: Es driftet, dass es nur so eine Freude ist.
Sogar die Laaks-Yamaha fahre ich an diesem Tag spazieren. Viel turnen ist nicht drin. Das aufrechte Thronen auf meiner Supercomp dagegen funktioniert halbwegs. Das Umsetzen ins Hang Off auf der Yam dagegen nicht. Komplett vergessen damit auch der Bodenkontakt über die Knieschleifer. Also bewege ich die Laaks-Yamaha very old school im Herrenfahrer-Stil und freue mich über den blitzartig hochdrehenden Motor, das feine White Power Fahrwerk und die genialen Gussscheiben-Bremsen. Nachmittags spricht mich der LC8-Pilot an und fragt nach der Leistung meiner Supercompetition. Als ich „Laut Prüfstand 64,5 PS“ sage, kann er es kaum glauben. „Du hast mir beim Beschleunigen immer gleich reichlich Meter abgenommen“, sagt er. „Das liegt einfach an der Kur, die ich dem Triebwerk habe angedeihen lassen. Die Supercomp drückt sofort an, kein Loch, kein gar nix“, antworte ich und denke an die wunderbare Drehmomentkurve, die der Prüfstand auf den Ausdruck gemalt hat. Es sollte der letzte Ausritt mit meiner geliebten Kürbis-Konkubine gewesen sein.
(Fortsetzung folgt)
Glück auf!
Pofpof
Es treten auf: Eine KTM 625 Supercompetition,
die A2, der Harz-Ring, ein letztes Rennen, Peter Gabriel,
ein Arzt, das LuK Driving Center, Waldemar Hartmann
und schon wieder viele Erinnerungen
Erste Zeichen für ein kommendes Ende
Der Kaffeepott dampft gemütlich vor sich hin, während ich eine Rechnung in den Händen halte. Das Telefon hat noch einige Male geklingelt, immer brauchte ich nur einen Satz zu sagen: „Die ist schon weg.“ Die Rechnung belegt den Eingriff in das Maschinenherz meiner orangen Liebe. Über den Spezialisten aus Oberhausen hatte ich einst eine Doppelseite für ein beliebtes Motorrad-Fachmagazin geschrieben und schon damals mein Interesse für eine Triebwerk-Fitnesskur angemeldet. Seitdem sind wir uns nach und nach vertrauter geworden und manchmal bin ich einfach so zu seiner Werkstatt gefahren, um ein bisschen zu plauschen und mich umzusehen. Vor zwei, drei Jahren bin ich zuletzt dort gewesen. Neulich hörte ich dann, dass er sich inzwischen zur Ruhe gesetzt hat. Meine Erinnerung zeigt mir Bühnen, auf denen halb zerlegte 520er oder die damals brandneuen 660er stehen, Ölduft steigt mir in die Nase und im Hintergrund läuft gerade eine Supercomp auf dem Prüfstand. Melancholisch lege ich die Rechnung zur Seite und werfe den Kopfkino-Projektor wieder an.
Ich versuche es wieder. Eines Samstagmorgens unter der Dusche treffe ich die Entscheidung, dass ich nun genug Trübsal geblasen habe. „Stelle dich deinen Zweifeln!“ Pino war plötzlich in meinem Kopf aufgetaucht, als ich mir gerade den Hals glatt schabte. Es ist inzwischen März geworden und es ist ein angenehmer Tag. Schnurstracks marschiere ich zur Garage, ziehe die Plane von der KTM und schaue nach, wie viel Sprit noch im Tank ist. Dann trete ich sie zurück ins Leben. Und als ob sie nur darauf gewartet hätte, ist sie beim zweiten Kick da, tänzelt auf dem Ständer und will hinaus in die Sonne. Kurze Zeit später sind wir unterwegs. Zuerst verhalten und verkrampft, keine Spur von Übermut und tiefen Schräglagen. Doch nach einer Stunde ist der Tank leer und ich gebe ihr neuen Saft zu schlucken, genieße ganz allmählich ihr knorriges Grunzen und das gierige Schlürfen aus der Airbox und dann suche ich im Bergischen Land nach engen und engsten Kurven. Ich bin zurück. Zurück in meinem alten Leben. Ich höre ihre Maschinenstimme und schreie vor Freude. Ich fahre, bis ich nicht mehr auf diesem Folterbalken, der sich „Sitzbank“ nennt, sitzen kann. Ein paar Wochen später melde ich mich für ein Supermoto-Training auf dem Harzring an.
Für zwei Tage Spaß auf der ungefähr 50Km südlich von Oschersleben und mitten im Nirgendwo gelegenen Strecke muss ich diesmal eine nervtötende, von endlosen Staus garnierte und furchtbar öde Anreise in Kauf nehmen. Auf der „Warschauer Allee“, wie die Autobahn A2 im Volksmund heißt, reiht sich Stau an Stau und LKW an LKW. Für die ersten 150 Kilometer raus aus dem Ruhrpott habe ich nahezu drei Stunden gebraucht. Wenn das so weitergeht, bin ich irgendwann in tiefer Nacht an der Strecke. Und es geht so weiter. Im Rennschneckentempo kriecht die Karawane das endlos scheinende, schwarz-graue Asphaltband entlang, Sonne und kurze Schauer wechseln sich ab, der Diesel nagelt und unter der Windsschutzscheibe verschwindet zäh Kilometer um Kilometer. Es ist fast 22.00 Uhr, als ich Aschersleben erreiche. Von dort ist es nicht mehr weit. Spätere Supermoto-Jünger und Harz-Ring-Fans haben es etwas leichter – der Autobahnausbau wird dann abgeschlossen sein und man kann fast bis vor den Fahrerlager-Eingang brettern, ohne ewig über Landstraßen tuckern zu müssen. Zugegeben, ich mag das Bummeln durch die nur hin und wieder von kleinen Örtchen unterbrochene unverbaute Weite dort, aber manchmal darf es ruhig ein bisschen schneller gehen.
Am Nachmittag des ersten Tages habe ich starke Schmerzen in Achillessehnen, Knöcheln und Knien. Während der Törns auf der endgeilen Strecke hatte ich das Zwicken ignoriert und mich sehr auf mich und meine Fahrerei konzentriert. Einer, den ich letztes Jahr noch mühelos paniert hatte, ging in der Bremszone nach der kurzen Gegengeraden innen mit einem Mega-Drift durch und war eine halbe Runde später schon uneinholbar weit weg. Mir war das egal. Ich fuhr. Ich freute mich darüber, dass ich fuhr. Und ich fuhr ohne Angst. Vorsichtig zwar, immer noch vorsichtig, aber ich hatte keine Angst mehr, zu stürzen. Am Abend sollte es ein Spaß-Rennen bei Flutlicht geben. Ich beschloss, mitzufahren.
Die Schmerzen führe ich auf die stundenlange Sitzfolter in meinem ollen Peugeot zurück.
Definitiv kein Fahrzeug für Menschen mit einer Schulterhöhe jenseits einmetersiebzig.
Ich gehe ein bisschen spazieren und hoffe, durch die Bewegung wieder Ruhe in meine Knie zu bringen. Ich laufe dort, wo es möglich ist ohne den Fahrbetrieb zu stören, an der Strecke herum und freue mich schon wieder. Ich freue mich über die Wärme der Sonne auf der Haut, über die Supermotos, die Runde um Runde über den Harz-Ring ballern, darüber, dass ich den Rost im Kopf wohl erfolgreich abgeschmirgelt habe und darüber, dass ich hergekommen bin. An der Strecke habe ich meist in Null-Komma-nix keinen Alltagsballast mehr im Hinterkopf, der ewig tropfende Wasserhahn mahnt nicht mit Plänen und Aufträgen, die es zu fassen oder zu erledigen gilt, hier gibt es keine überfüllten Straßenbahnen, keine rempelnden Fußgänger, keine nervende Rush Hour.
Hier wird „gewemst“, wie der Supermoto-Jünger zu sagen pflegt, und abends wird gegrillt und Benzin geredet. Was hier leider auch langsam Einzug hält, sind die überlauten Krakeeler, die sich alkoholvernebelt für superlustig und unbesiegbar halten und so einen Lärm machen, dass an Schlaf vor drei Uhr früh kaum zu denken ist. Ich frage mich, wie diese Spezies am anderen Tag mit dickem Schädel vernünftige Törns fahren wollen.
Beim Le Mans Start zum Spaß-Rennen über 15 Runden und drei Minuten komme ich recht gut weg und reihe mich im vorderen Mittelfeld ein. Eine Stunde vorher war ich derart aufgeregt, dass ich erstens alle fünf Minuten meinte, pinkeln zu müssen, und zweitens überzeugt war, dass ein Rückzug meiner Nennung auf jeden Fall die bessere Variante wäre. Ich hatte alte Knochen geworfen und im Kaffeesatz gelesen. Außerdem hatte ich dem großen Uffzynd, dem Gott aller redlichen Aufzünder, einige kleine Grillwürstchen geopfert. Eine Antwort auf meine bange Frage des Mitfahrens oder Kneifens hatte ich trotzdem nicht erhalten. Und das war gut so. Denn jetzt klebe ich am Hinterrad meines Vordermannes und suche nach der Lücke, ich die ich stechen könnte. Kein Gedanke mehr an rutschende Vorderräder oder das profan klingende Schleifen und Scharren, das zu hören ist, wenn ein Motorrad über den Asphalt trudelt. Meine Supercomp ist hungrig und sprintet bissig hinter meinem Vordermann her. Schnappt nach seinen Stiefelhacken und Flanken, will vorbei. Ein paar wirklich schöne Bremsduelle kann ich gewinnen. Zwei, drei Plätze hole ich, verliere einen dann gleich wieder an einen Schnelleren, attackiere, verbremse mich, verliere die aufgeholten Plätze wieder. So geht das ein Weile, bis ich spüre, wie mir langsam die Puste ausgeht. Ich beiße auf die Zähne und schwöre, sofort nach meiner Rückkehr an meiner Kondition zu arbeiten. Mein Hauptantrieb schaltet auf Notstrom. Im Cockpit blinkt die Warnleuchte mit der Sauerstoffflasche auf. Dann endlich das Schild, welches die letzte Runde signalisiert. Meinen Vordermann hole ich doch noch in der allerletzten Kurve. Einige Zeit habe ich mir angeschaut, was er macht und wo er zu packen wäre. Jetzt bremst er später als sonst, geht weit, ich bleibe eng innen und gehe hart ans Gas, das Vorderrad will steigen, ich bleibe drauf und lege meinen Oberkörper vor, den Kopf runter, Zielflagge. Den angebotenen Handschlag ignoriert mein Gegner. Vielleicht hat er auch gar nicht mitbekommen, was ich von ihm wollte. In der Auslaufrunde schicke ich ein Dankesgebet an den großen Uffzynd und verspreche ihm, dass ich nachher mindestens ein großes Glas Rotwein leeren und ein sorgfältig gegrilltes Putenschnitzel verzehren werde, um ihn zu ehren. Zufrieden liege ich später in meinem Transporter auf der Ladefläche im Schlafsack, höre Peter Gabriel zu und betrachte die paar Sterne, die ich durch die beiden Rückfenster sehen kann. Ich bin glücklich und ein wenig melancholisch zugleich. Ich habe den Weg zurück gefunden. Weil ich es versucht habe. Weil sich alles in meinem Kopf abgespielt hat. Dass ich einen heftigen Sturz hatte und mich dabei verletzt habe, ist und wird ja nicht die Regel sein. Dass ein Reifen sofort wegrutscht, sobald man das Motorrad in Schräglage bringt, ist ja auch nicht wahr. Dass ich manchmal überzeugt bin, eine Wurst zu sein, ist dagegen amtlich. Aber auch daran bin ich selbst schuld, weil ich meinen Kopfsalat manchmal nicht geordnet bekomme.
Am Morgen werde ich von den schmerzenden Knien wach. Bis ich hoch und aus dem Transporter bin, vergehen um die fünf Minuten. Stehen und gehen ist eine Qual. Bis zum Mittag lassen die Schmerzen nach und ich kann endlich daran denken, meine Kürbis-Konkubine zu besteigen. Zwei Monate und einige Schmerzschübe später sitze ich in einem Wartezimmer.
„Lass dich mal auf Rheuma testen.“ Der Arzt meines Vertrauens schaut mich fest an. „Rheuma? Ist das nicht was für Opas?“, frage ich ihn und erfahre, dass Rheuma eine Erkrankung des Immunsystems ist und autoaggressiv die eigenen Gelenke befällt. Und das manchmal schon bei Kindern. Ein paar Tage später meldet der Rheumatologe: „Volltreffer!“
Ich bin also ein von chronischer Polyarthritis befallener Rheumatiker und schon längst mitten im Rennen meines Lebens um Beweglichkeit und Wohlbefinden, obwohl ich gar keinen Startschuss gehört habe.
Inzwischen sind die Gelenkschmerzen gute Bekannte von mir geworden, die ich beim Vornamen nenne und die mich beinahe täglich besuchen.
Morgens steif zu sein hat bei mir eine völlig andere Bedeutung bekommen. An manchen Tagen komme ich kaum aus dem Bett und verbringe die ersten Stunden in stiller Verzweiflung, bis endlich die Schmerzmittel wirken. Eines Sonntag-Abends, kurz vor dem „Tatort“, kann ich dabei zuschauen, wie mein rechtes Handgelenk langsam so dick wie eine Apfelsine wird.
Auf meine geliebte Kürbis-Konkubine zu klettern fällt mir immer schwerer. Das Bein für den Tritt auf den Kickstarter zu heben, ist irgendwann unmöglich. In meinen beiden Hüftgelenken tobt der dritte Weltkrieg. Zumindest fühlt es sich so an. Manchmal ist es auch wie eine Fräse, die sich scharfmetallen durch die Gelenke frisst. Egal, wie es sich anfühlt, an manchen Tagen möchte ich einfach nur den Kopf gegen die Wand schlagen, weil der Schmerz unerträglich ist. Ich will nicht aufgeben. Der Versuch, die LC4 anzukicken, indem ich mich auf den Hubständer stelle, gelingt mir zwar, aber das Aufsteigen ohne Hilfsmittel klappt nicht. Selbst wenn ich die KTM schräg lege und dann das rechte Bein über die Sitzbank schwinge habe ich größte Schwierigkeiten, das Motorrad anschließend aufzurichten. Am Ende mache ich es so: Vom Hubständer aus ankicken, dann den ersten Gang rein, den linken Fuß auf die Raste, anfahren, und im Anfahren wie beim Fahrrad das andere Bein über die Sitzbank schwingen. Absitzen funktioniert dann mit dem Schräglegen der Maschine. Ich frage mich, wie lange das noch so funktionieren mag. Mit der Monster komme ich besser klar. Kein Wunder, die Italienerin hat keine alpinen Affinitäten und liegt einfach tiefer. Damit kann ich wenigstens herum kullern, denn von fahren kann kaum noch die Rede sein. Meine Beweglichkeit ist mittlerweile kaum noch der Rede wert, ich turne geschmeidig wie ein Doppel-T-Träger auf der Bologneserin und könnte ständig in den Helm heulen. An die Laaks-Yamaha brauche ich gar nicht zu denken. Das Zusammenfalten in die rennmäßige Embryonenhaltung würde mir nur mit Hilfe einer Presse gelingen. Aufsteigen kann ich nur, wenn jemand das Motorrad fest hält.
Dann ist für eine Weile ganz Feierabend. Selbst das Bummeln im Bergischen mit der Monster wird zu gefährlich, weil ich durch meine Unbeweglichkeit nur noch langsam reagieren kann.
I’ll be back – Der Rheumator
Mehr als ein Jahr ohne Motorradfahren habe ich hinter mich gebracht. Inzwischen bin ich auf der Nadel und schieße mir gegen die Rheumaschübe einmal in der Woche ein Präparat unter die Bauchhaut, dass auch in der Tumorbekämpfung eingesetzt wird. Dazu gibts täglich Cortison und als Antidot zu der gelblich-trüben Injektionssuppe einmal in der Woche Folsäurepillen. Damit komme ich halbwegs klar, auch wenn mich nasskaltes Wetter regelmäßig ausschaltet. Alternative Behandlungsmethoden habe ich versucht und wegen Erfolglosigkeit und der hohen Kosten wieder verworfen. Von den Medikamenten ist mir regelmäßig derart übel, dass ich in der ersten Stunden des Vormittags kaum einen klaren Gedanken fassen kann. Die Rock-Coverband, in der ich nach längerer Musik-Abstinenz spiele, feuert mich. Ich war einfach nicht mehr in der Lage, regelmäßig zu proben und ein Unsicherheitsfaktor für Gigs. Manchmal hatte ich eine handvoll Schmerzmittel der Sorte „Vergiss alles was weh tut für drei Stunden“ eingeworfen, um einen Auftritt überhaupt hinter mich bringen zu können, auch wenn ich alles andere als fit war. Nach drei Jahren ohne Spielerei war ich eingestiegen und wollte dort mit Led Zeppelin Songs und anderen Rock-Gassenhauern mein musikalisches Altenteil verbringen, nachdem ich die Auflösung der Roots-Rock-Band verdaut hatte, die 11 Jahre lang so etwas wie ein Weltmittelpunkt für mich gewesen war und mit der ich Plattenvertragsverhandlungen und eine Europatournee erlebt hatte. Jetzt packe ich Drumset und Becken in die Cases, gebe den Proberaumschlüssel ab und verlade den ganzen Kram in den Bauch von Waldemar Hartmann. Ich vermisse die Motorradfahrerei. Ich vermisse die Musik. Seit sich die Symptome gezeigt und ich die Diagnose bekommen hatte, war auch Schluss mit Sport. Irgendwann funktionierten auch Liegestütze und Sit Ups nicht mehr, ganz zu schwiegen von Fitness- oder Hanteltraining, was ich früher sehr gern gemacht hatte.
Ich will nicht aufgeben. Manchmal geht es mir ganz gut, und dann versuche ich sofort, ob ich auf ein Motorrad komme. An meiner geliebten Kürbis-Konkubine scheitere ich jedes mal. Und wenn ich es doch mal schaffe, ist die Sitzposition unerträglich. So sehr es mich betrübt, in mir keimt der Gedanke an einen Abschied von meiner heißen Österreicherin, von meinem geliebten Spaßgerät, meiner treuen Bolzmaschine. An einem warmen sonnigen Samstag schiebe ich sie vor die Haustüre und beginne mit einer rituellen Reinigung. Sauber ist sie sowieso, aber jetzt will ich ein letztes Zwiegespräch, will ihr erklären, warum sie nicht bei mir bleiben kann. Ich will mich verabschieden. Alle Plastikteile werden auf Hochglanz gebracht, die Aluminiumschwinge poliere ich sorgfältig und bringe jede einzelne Speiche zum Blitzen. Trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen und fühle mich wie ein Verräter.
Eines Tages sitze ich wieder in der Küche, habe den Einstichbereich desinfiziert, die Spritze in der Hand, aber ich bringe es nicht fertig, die Kanüle unter die Haut zu schieben. Teilweise ist die Haut verhärtet von der Stecherei, und ich bringe dort die Nadel sowieso nicht rein. Ich setze erneut an und schaffe es wieder nicht. Ich beiße auf die Backenzähne, kneife die Lippen zusammen und schiebe die Nadel Stückchen für Stückchen millimeterweise unter die Haut. Dann drücke ich langsam den Kolben hinunter, bis die Flüssigkeit komplett aus dem Glasröhrchen und unter meiner Haut ist. Ich bin fertig. So oder so. Es kostet mich ungeheure Kraft, die Krankheit einfach Krankheit sein zu lassen und den Tag zu genießen. Ich fühle mich mies und minderwertig. Und ich lasse das an meiner Umgebung aus, wofür ich mich erst recht hasse. So kann es nicht weitergehen. Ich muss Klarheit schaffen, muss mich entscheiden, mich den Tatsachen stellen. Ich muss den Weg zurück zu mir finden, muss das innere Pendel wieder zum Schwingen bringen. Ich bin nicht bereit, mein Schicksal einfach so hinzunehmen, so lange ich noch irgendwas tun kann. Selbst wenn ich meine Leidenschaft aufgeben und meine Motorräder verkaufen muss. Wichtig ist, dass ich aus der Falle herauskomme, die meine Gedanken blockiert, meine Empfindungen fehl steuert und mich ungerecht sein lässt. Ich bin sicher: Wenn ich es schaffe, mich selbst wieder gut zu finden, dann schaffe ich auch beinahe alles andere. Ich will nicht aufgeben!
Soll ich die Supercomp einmotten und warten, bis ich wieder so weit stabil bin, dass ich wieder wemsen kann? Und wenn das nie passiert? Oder soll ich mich auf Monster und Yamaha konzentrieren und die KTM in gute Hände abgeben, damit sie wieder richtig spielen kann? Diese Frage beantwortet mein Körper, denn allmählich verschwinden die Fräsattacken in den Hüftgelenken. Dafür spielen Schultern und Handgelenke verrückt, völlig ungeeignet für den Einsatz auf Spaßgeräten aus Mattighofen. Ich gebe mir selbst einen Kampfnamen, der mich immer daran erinnern soll, niemals aufzugeben. Ich nenne mich insgeheim und für mich selbst „Der Rheumator“.
In den folgenden Wochen warte ich auf die Effekte einer Neueinstellung mit Medikamenten. Von der Nadel bin ich runter. Das ging vom Kopf her gar nicht mehr. Dafür ist die Dosis in Tablettenform inzwischen auf Maximum, wirkt aber schlechter. Doch ich denke positiv. Außer, wenn ich die Nachrichten schaue.
Dann geschieht so etwas wie ein Wunder: Ich bin relativ gut beweglich und nahezu schmerzfrei. Und obendrein scheint die Sonne, es ist ein schöner und warmer Tag Mitte April. Wenig später stecke ich im Schwabenleder und ballere mit der Monster im Bergischen Land herum. Liege über eine Stunde in einer Wiese und schaue den Wolken zu, die über mich hinweg ziehen. Ich bin dankbar dafür, dass ich an diesem Tag fahren kann und muss ein bisschen heulen. Später, auf dem Rückweg, treffe ich auf ein Rudel Poser auf aktuellen Superbikes. Shiny toys. Alles sieht brandneu aus – die R-Einsen, Blades und Gixxer blinken und blitzen, alles an verbautem Zubehör ist mit rhythmisch blinkenden Pfeilen aus bunten Neonröhren versehen, damit man ja nicht übersieht, wie viel Kohle dort versenkt wurde. Die blütenreinen Dainese- und Arlen Ness Zweiteiler quietschen noch, so neu sind die. Eigentlich will ich damit nichts zu tun haben und in eine andere Richtung abbiegen, aber dann regt sich der Rheumator und will bestrafen. Ich fahre eine Weile als Letzter am Ende dieser Truppe und schaue mir das Spiel „Gerade: Volles Rohr – Kurve: Schleichfahrt“ eine Weile an und überzeuge den Rheumator in mir, die Füße still zu halten. Sollen die Jungs doch ihren Spaß haben, jeder nach seiner Facon, wie der alte Fritz schon zu sagen pflegte. Dann beschließe ich, zur Eröffnung des neu gebauten Trainingskurses „LuK Drivingcenter Baden“ zu fahren und dort dem Rheumator ein wenig Auslauf zu gönnen.
Sofern meine Gräten mitspielen.
Am LuK käbbele ich mich im Sommer dann mit einer LC8. In der dritten Runde des Törns bin ich am Ende der Gegengeraden in der Bremszone vorbei gegangen, obwohl der LC8-Treiber sein oranges Kraftpaket mit ausgefahrenem Bein im Supermoto-Style durchaus schnell zu bewegen wusste. Erst zwei Runden vor Ende des Törns konnte er kontern. Ich war einfach schlecht aus der Kurve auf die Gegengerade gekommen und die LC8 spielte um die 35PS an Mehrleistung aus. Überholt hat mich einiges an PS-protzigen Einspurfahrzeugen und kundigen Reitern an diesem Tag, ein rasender Schuhverkaufer spaltet mich auf einer K1200S aus dem Fuhrpark des Betreibers, ein gewisser Hanebub zeigt mir das Heck seiner R1 und lässt sich später beim Betrachten seiner Onboard-Aufnahmen über die Schulter schauen, und das Heizerle Jo Bauer zeigt, was ich nie gelernt habe: Es driftet, dass es nur so eine Freude ist.
Sogar die Laaks-Yamaha fahre ich an diesem Tag spazieren. Viel turnen ist nicht drin. Das aufrechte Thronen auf meiner Supercomp dagegen funktioniert halbwegs. Das Umsetzen ins Hang Off auf der Yam dagegen nicht. Komplett vergessen damit auch der Bodenkontakt über die Knieschleifer. Also bewege ich die Laaks-Yamaha very old school im Herrenfahrer-Stil und freue mich über den blitzartig hochdrehenden Motor, das feine White Power Fahrwerk und die genialen Gussscheiben-Bremsen. Nachmittags spricht mich der LC8-Pilot an und fragt nach der Leistung meiner Supercompetition. Als ich „Laut Prüfstand 64,5 PS“ sage, kann er es kaum glauben. „Du hast mir beim Beschleunigen immer gleich reichlich Meter abgenommen“, sagt er. „Das liegt einfach an der Kur, die ich dem Triebwerk habe angedeihen lassen. Die Supercomp drückt sofort an, kein Loch, kein gar nix“, antworte ich und denke an die wunderbare Drehmomentkurve, die der Prüfstand auf den Ausdruck gemalt hat. Es sollte der letzte Ausritt mit meiner geliebten Kürbis-Konkubine gewesen sein.
(Fortsetzung folgt)
Glück auf!
Pofpof
Man soll keine Dummheit zweimal begehen - die Auswahl ist schließlich groß genug!
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danke für die geschriebenen Worte, irgendwie kann ich da mitfühlen, da ich mich zur Zeit auch von Cortison und Sulfasalazin ernähre, mit der Diagnose Polyarthritis
aber mein Motorrad steht noch in der Garage

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tja da weiss man gar nicht was man antworten soll. Ich wünsche dir alles Glück dass du brauchst.
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Wie sehr ich mich auf den Tag freue, an dem wir mal wieder die Klingen kreuzen werden...
Danke für diese bedeutsamen Worte......


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- pofpof Offline
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Leb wohl, kleine Kürbis-Konkubine - 6. Akt
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Sechster Akt/Epilog
Es treten auf: Eine KTM 625 Supercompetition,
gemischte Gefühle, der Baron, Waldemar Hartmann,
Pino, Jürgen, Duke Olly P., eine Ex-IDM-Supersport-
Yamaha in Laaks-Konfiguration, der Hockenheimring,
ein Motorschaden und wieder viele, viele Erinnerungen.
Abschied und Neubeginn
Ich drücke den Rest einer Lucky „ohne“ im Aschenbecher aus und klappe den Ordner zu. Den Kaufvertrag habe ich abgeheftet. Das Zubehör wie Startnummerntafel, Racingheck, Ersatzhebeleien, einen Satz Fußrasten, einen Kupplungs- und einen Gaszug sowie drei Sätze Bremsbeläge hatte die Frau des Käufers im Vito verstaut. Den zweiten Radsatz, den Hubständer, die Slicks, Regenreifen und Intermediates, die ich noch hatte, habe ich dem Baron vom Treff am See versprochen, der mich „Lemmy“ nennt und mich immer mit „Na, du Stricher“ herzlich begrüßt.
Meine Probleme haben sich inzwischen auf den Oberkörper konzentriert und verhindern weiteres wemsen. Dafür kann ich auf der Laaks-Yamaha kauern. Die Sitzposition habe ich etwas verändert, jetzt halte ich es auf dem EX-IDM-Supersportler ganz gut aus, auch wenn ich nach wie vor im aufrechten Herrenfahrer-Stil unterwegs sein muss. Im Juli bin ich mit ihr auf dem Hockenheimring. Gefahren wird der GP-Kurs. Ich treffe auf ein Relikt aus der 2001er-Zeit: Eine Ex-Supersport-WM alpha Technik Honda. Diese CBR 600 ist damals vom Australier Adam Fergusson pilotiert worden, doch davon hat der jetzige Besitzer keine Ahnung. Ich klemme mich mit meiner Laaks-Yamaha an sein Hinterrad und versuche, ihm zu folgen. Das geht auch ganz gut, nur in der Parabolika nimmt er mir einige Meter ab. Seine Honda-Schickse ist eben drei Jahre jünger und obendrein ein paar PS stärker. Duke Olly P. zeigt mir, wie ich meinen Oberkörper einsetzen kann, auch wenn Hang-Off aufgrund meiner körperlichen Probleme unmöglich ist. Das bringt mich ein gutes Stück weiter und weist mir den Weg für die Zukunft. Ich werde im Rahmen meiner Möglichkeiten weiter daran feilen und vielleicht eines Tages auch das Knie wieder an den Boden bringen. „Schräglage ist bei dir reichlich“, sagt Olly. Dann der letzte Törn. Als ich die Spitzkehre Ausgangs der Parabolika anbremse und herunterschalten will, macht es „KLONK!“, und der Motor klingt sofort wie ein Sack Muscheln. Ich ziehe die Kupplung, drücke den Killschalter, halte kurz die rechte Hand hoch und lasse die Yam geradeaus in die asphaltierte Auslaufzone laufen. Dann signalisiere ich dem fragend schauenden Streckenposten „Motor kaputt“, indem mit dem Daumen eine Geste quer über meinen Hals mache. Im selben Augenblick fliegen eine aktuelle Blade mit Superbike-Lenker und eine Kilo-Gixxe mit ungefähr Warp neun auf die Spitzkehre zu. Der Blade-Treiber macht Blödsinn, überbremst und produziert aus zirka 200Km/h einen Vorwärtssalto samt Motorrad. Blade und Fahrer fliegen weit in die Auslaufzone hinein, direkt an mir vorbei. Rote Flaggen. Der Gixxer-Treiber ist mit geradeaus und sofort bei dem Gestürzten. Mir fährt ein Schreck in die Glieder: Was, wenn ich bei der Schlachtung meines Yamaha-Motors Öl verloren habe? Doch der Streckenposten beruhigt mich. Nirgends ist Öl oder Flüssigkeit. Auch an der Yamaha ist nichts festzustellen. Obendrein wars ein Bremsfehler, aber im ersten Augenblick hatte ich doch Sorge, Mitauslöser gewesen zu sein. Der Blade-Fahrer wird abtransportiert, er scheint bei Bewusstsein, aber ich bin nicht sicher. Später ist die Rede von Gehirnerschütterung, Knochenbrüchen und Riesenglück. Die Laaks-Yamaha hat einen Pleuelschaden. Ich verkaufe sie später an den Besitzer des Schwestermotorrades, den ich rein zufällig über das R4F-Forum aufgetrieben habe. Der hat einen funktionierenden Motor, dafür aber einiges vom Rest seiner Maschine im Kiesbett zu Most gelassen. Jetzt kann er aus zwei defekten wieder ein heiles Motorrad machen.
Mit Pino rede ich über die KTM. „Ich werde sie verkaufen“, sage ich, „selbst wenn meine Knochen wieder mitspielen, ich kann nie sicher sein, dass das auf Dauer so bleibt. Und ich habe irgendwie Abstand gewonnen. Ich hatte wahnsinnig viel Spaß mit der Drahtrolle, hab mir in zwei Jahren mit dem Teil mehr Beschädigungen eingefangen als sonst in meinem gesamten Motorradfahrerleben. Das werde ich nie vergessen. Und ich muss den Österreichern dankbar sein, dass die solche Geräte bauen!“ Das mit dem Abstand sollte ein Irrtum sein, wie ich beim Verkauf dann feststellen musste. „Das Kringelfahren macht ja auch Riesenspaß, nur muss ich mal gucken, wo ich eine Kringelmaschine her bekomme.“ Pino brummt was von seiner 748, die seit einiger Zeit ungenutzt in seiner Garage steht, will sich aber nicht festlegen. Einige Wochen vergehen. Irgendwann sitzen wir beim Treff am See zusammen und lästern mit dem Baron über den Admiral und andere Hackfressen. Pino sagt plötzlich: “Nur, wenn sie in der Familie bleibt.“ „Wer?“ frage ich. „Die Ducati“, sagt Pino. „Versuch mal, ob du darauf sitzen kannst. Falls ja, kannst du sie haben. Wenn du sie nicht mehr fahren willst, verkaufst du sie mir zurück.“ Die Sitzprobe fällt zufrieden stellend aus und ich entschließe mich, meine Jungfernfahrt mit der Duc nach dem Winter in Calafat zu absolvieren.
Epilog
Waldemar Hartmann war irgendwann nicht mehr TÜV fähig. Karies an verschiedenen tragenden Teilen hätten umfangreiche Schweißarbeiten erforderlich gemacht, was sich in Anbetracht seines hohen Alters nicht gelohnt hätte. Der Motor verlor Öl und eine der Seitentüren klemmte. Eines frühen Morgens nahm eine BMW-Lenkerin einer Polo-Lenkerin die Vorfahrt, rammte diese und katapultierte so den Polo in den armen Waldemar, der unschuldig am Straßenrand geparkt stand. Von der Versicherung bekam ich noch ein hübsches Sümmchen für ihn, den kaputten Rest kaufte dann ein Waldemar-Händler aus Usbekistan.
Von meiner Österreicherin habe ich nur noch einmal etwas gehört. Sie war bereits nach knapp vier Monaten weiterverkauft worden und wohnt seitdem irgendwo nordöstlich von Dortmund. Manchmal vermisse ich sie. Und ich freue mich jedes Mal, wenn ich eine
orange KTM Supermoto sehe, denn dann habe ich sofort Bilder von meiner Verflossenen im Kopf.
Mit der 748 war ich zwei mal in Calafat, mehrmals am Nürburgring, in Hockenheim, am Sachsenring, wo sie nur flüstern durfte und deshalb die Originaltüten tragen musste statt der offenen Termignionis, und in Oschersleben. Es gelingt mir inzwischen, je nach Tagesform, hin und wieder mit dem Knie den Asphalt zu streicheln. Rundenzeiten interessieren mich nur als eigene Orientierung, meine wahre Herausforderung heißt der Rheumator zu sein und so die Krankheit in Schach zu halten, damit ich mich auch weiterhin auf einem motorisierten Zweirad Zielgeraden hinab feuern kann und damit die ungeheure Losgelöstheit empfinden, die mir nur das Motorradfahren gibt.
Jürgen ist irgendwo in Wuppertal verschollen. Pino fährt nur noch exzessiv Fahrrad und nimmt jedes Jahr am 24-Stunden-Fahrradrennen auf der Nordschleife teil. Seine EXC 520 hat der Baron vom Treff am See gekauft. Den Schwaben hat es in den Aachener Raum verschlagen. Einmal im Jahr ruft er mich an und wir erzählen uns gegenseitig die letzten Gerüchte.
Mein Drumset steht aufgebaut in einem anderen Proberaum. Trommeln kann ich nicht mehr, der Rebound der Sticks vom Fell ist für mich unerträglich. Dafür habe ich mir zwei Stromgitarren gekauft und einen Kofferverstärker. Bevor ich Drummer wurde, habe ich es ein Weile mit der Gitarre versucht. Ein Kreis scheint sich nun zu schließen. Playin’ the Blues. Und immer eine Hand am Herzen. Und in mir immer Motorräder.
ENDE
copyright Pofpof 2008
Glück auf!
Pofpof
Es treten auf: Eine KTM 625 Supercompetition,
gemischte Gefühle, der Baron, Waldemar Hartmann,
Pino, Jürgen, Duke Olly P., eine Ex-IDM-Supersport-
Yamaha in Laaks-Konfiguration, der Hockenheimring,
ein Motorschaden und wieder viele, viele Erinnerungen.
Abschied und Neubeginn
Ich drücke den Rest einer Lucky „ohne“ im Aschenbecher aus und klappe den Ordner zu. Den Kaufvertrag habe ich abgeheftet. Das Zubehör wie Startnummerntafel, Racingheck, Ersatzhebeleien, einen Satz Fußrasten, einen Kupplungs- und einen Gaszug sowie drei Sätze Bremsbeläge hatte die Frau des Käufers im Vito verstaut. Den zweiten Radsatz, den Hubständer, die Slicks, Regenreifen und Intermediates, die ich noch hatte, habe ich dem Baron vom Treff am See versprochen, der mich „Lemmy“ nennt und mich immer mit „Na, du Stricher“ herzlich begrüßt.
Meine Probleme haben sich inzwischen auf den Oberkörper konzentriert und verhindern weiteres wemsen. Dafür kann ich auf der Laaks-Yamaha kauern. Die Sitzposition habe ich etwas verändert, jetzt halte ich es auf dem EX-IDM-Supersportler ganz gut aus, auch wenn ich nach wie vor im aufrechten Herrenfahrer-Stil unterwegs sein muss. Im Juli bin ich mit ihr auf dem Hockenheimring. Gefahren wird der GP-Kurs. Ich treffe auf ein Relikt aus der 2001er-Zeit: Eine Ex-Supersport-WM alpha Technik Honda. Diese CBR 600 ist damals vom Australier Adam Fergusson pilotiert worden, doch davon hat der jetzige Besitzer keine Ahnung. Ich klemme mich mit meiner Laaks-Yamaha an sein Hinterrad und versuche, ihm zu folgen. Das geht auch ganz gut, nur in der Parabolika nimmt er mir einige Meter ab. Seine Honda-Schickse ist eben drei Jahre jünger und obendrein ein paar PS stärker. Duke Olly P. zeigt mir, wie ich meinen Oberkörper einsetzen kann, auch wenn Hang-Off aufgrund meiner körperlichen Probleme unmöglich ist. Das bringt mich ein gutes Stück weiter und weist mir den Weg für die Zukunft. Ich werde im Rahmen meiner Möglichkeiten weiter daran feilen und vielleicht eines Tages auch das Knie wieder an den Boden bringen. „Schräglage ist bei dir reichlich“, sagt Olly. Dann der letzte Törn. Als ich die Spitzkehre Ausgangs der Parabolika anbremse und herunterschalten will, macht es „KLONK!“, und der Motor klingt sofort wie ein Sack Muscheln. Ich ziehe die Kupplung, drücke den Killschalter, halte kurz die rechte Hand hoch und lasse die Yam geradeaus in die asphaltierte Auslaufzone laufen. Dann signalisiere ich dem fragend schauenden Streckenposten „Motor kaputt“, indem mit dem Daumen eine Geste quer über meinen Hals mache. Im selben Augenblick fliegen eine aktuelle Blade mit Superbike-Lenker und eine Kilo-Gixxe mit ungefähr Warp neun auf die Spitzkehre zu. Der Blade-Treiber macht Blödsinn, überbremst und produziert aus zirka 200Km/h einen Vorwärtssalto samt Motorrad. Blade und Fahrer fliegen weit in die Auslaufzone hinein, direkt an mir vorbei. Rote Flaggen. Der Gixxer-Treiber ist mit geradeaus und sofort bei dem Gestürzten. Mir fährt ein Schreck in die Glieder: Was, wenn ich bei der Schlachtung meines Yamaha-Motors Öl verloren habe? Doch der Streckenposten beruhigt mich. Nirgends ist Öl oder Flüssigkeit. Auch an der Yamaha ist nichts festzustellen. Obendrein wars ein Bremsfehler, aber im ersten Augenblick hatte ich doch Sorge, Mitauslöser gewesen zu sein. Der Blade-Fahrer wird abtransportiert, er scheint bei Bewusstsein, aber ich bin nicht sicher. Später ist die Rede von Gehirnerschütterung, Knochenbrüchen und Riesenglück. Die Laaks-Yamaha hat einen Pleuelschaden. Ich verkaufe sie später an den Besitzer des Schwestermotorrades, den ich rein zufällig über das R4F-Forum aufgetrieben habe. Der hat einen funktionierenden Motor, dafür aber einiges vom Rest seiner Maschine im Kiesbett zu Most gelassen. Jetzt kann er aus zwei defekten wieder ein heiles Motorrad machen.
Mit Pino rede ich über die KTM. „Ich werde sie verkaufen“, sage ich, „selbst wenn meine Knochen wieder mitspielen, ich kann nie sicher sein, dass das auf Dauer so bleibt. Und ich habe irgendwie Abstand gewonnen. Ich hatte wahnsinnig viel Spaß mit der Drahtrolle, hab mir in zwei Jahren mit dem Teil mehr Beschädigungen eingefangen als sonst in meinem gesamten Motorradfahrerleben. Das werde ich nie vergessen. Und ich muss den Österreichern dankbar sein, dass die solche Geräte bauen!“ Das mit dem Abstand sollte ein Irrtum sein, wie ich beim Verkauf dann feststellen musste. „Das Kringelfahren macht ja auch Riesenspaß, nur muss ich mal gucken, wo ich eine Kringelmaschine her bekomme.“ Pino brummt was von seiner 748, die seit einiger Zeit ungenutzt in seiner Garage steht, will sich aber nicht festlegen. Einige Wochen vergehen. Irgendwann sitzen wir beim Treff am See zusammen und lästern mit dem Baron über den Admiral und andere Hackfressen. Pino sagt plötzlich: “Nur, wenn sie in der Familie bleibt.“ „Wer?“ frage ich. „Die Ducati“, sagt Pino. „Versuch mal, ob du darauf sitzen kannst. Falls ja, kannst du sie haben. Wenn du sie nicht mehr fahren willst, verkaufst du sie mir zurück.“ Die Sitzprobe fällt zufrieden stellend aus und ich entschließe mich, meine Jungfernfahrt mit der Duc nach dem Winter in Calafat zu absolvieren.
Epilog
Waldemar Hartmann war irgendwann nicht mehr TÜV fähig. Karies an verschiedenen tragenden Teilen hätten umfangreiche Schweißarbeiten erforderlich gemacht, was sich in Anbetracht seines hohen Alters nicht gelohnt hätte. Der Motor verlor Öl und eine der Seitentüren klemmte. Eines frühen Morgens nahm eine BMW-Lenkerin einer Polo-Lenkerin die Vorfahrt, rammte diese und katapultierte so den Polo in den armen Waldemar, der unschuldig am Straßenrand geparkt stand. Von der Versicherung bekam ich noch ein hübsches Sümmchen für ihn, den kaputten Rest kaufte dann ein Waldemar-Händler aus Usbekistan.
Von meiner Österreicherin habe ich nur noch einmal etwas gehört. Sie war bereits nach knapp vier Monaten weiterverkauft worden und wohnt seitdem irgendwo nordöstlich von Dortmund. Manchmal vermisse ich sie. Und ich freue mich jedes Mal, wenn ich eine
orange KTM Supermoto sehe, denn dann habe ich sofort Bilder von meiner Verflossenen im Kopf.
Mit der 748 war ich zwei mal in Calafat, mehrmals am Nürburgring, in Hockenheim, am Sachsenring, wo sie nur flüstern durfte und deshalb die Originaltüten tragen musste statt der offenen Termignionis, und in Oschersleben. Es gelingt mir inzwischen, je nach Tagesform, hin und wieder mit dem Knie den Asphalt zu streicheln. Rundenzeiten interessieren mich nur als eigene Orientierung, meine wahre Herausforderung heißt der Rheumator zu sein und so die Krankheit in Schach zu halten, damit ich mich auch weiterhin auf einem motorisierten Zweirad Zielgeraden hinab feuern kann und damit die ungeheure Losgelöstheit empfinden, die mir nur das Motorradfahren gibt.
Jürgen ist irgendwo in Wuppertal verschollen. Pino fährt nur noch exzessiv Fahrrad und nimmt jedes Jahr am 24-Stunden-Fahrradrennen auf der Nordschleife teil. Seine EXC 520 hat der Baron vom Treff am See gekauft. Den Schwaben hat es in den Aachener Raum verschlagen. Einmal im Jahr ruft er mich an und wir erzählen uns gegenseitig die letzten Gerüchte.
Mein Drumset steht aufgebaut in einem anderen Proberaum. Trommeln kann ich nicht mehr, der Rebound der Sticks vom Fell ist für mich unerträglich. Dafür habe ich mir zwei Stromgitarren gekauft und einen Kofferverstärker. Bevor ich Drummer wurde, habe ich es ein Weile mit der Gitarre versucht. Ein Kreis scheint sich nun zu schließen. Playin’ the Blues. Und immer eine Hand am Herzen. Und in mir immer Motorräder.
ENDE
copyright Pofpof 2008
Glück auf!
Pofpof
Man soll keine Dummheit zweimal begehen - die Auswahl ist schließlich groß genug!
Beste Motorrad-Shortstory EVER!!!
You rule!!!!!!!!! D A N K E !!!!!!!!!!

You rule!!!!!!!!! D A N K E !!!!!!!!!!
- tomlang Offline
- Beiträge: 411
- Registriert: Freitag 19. November 2004, 18:07
- Motorrad: KTM
- Lieblingsstrecke: die meisten
- Wohnort: Langenfeld Rheinland
Christoph,
das ist eine sehr bewegende und exzellent geschriebene Weihnachtsgeschichte. Herzlichen Dank dafür.
Ich hatte Dich mit Deiner NATO-grünen 748 letztes und dieses Jahr bei TMB in der Eifel gesehen. Dass so eine Geschichte dahintersteckt, weiß ich erst jetzt. RESPEKT.
Ich wünsche Dir anhaltende Kraft gegen die tückische Krankheit und hoffe, Dich "Rheumator"
nächstes Jahr möglichst gesund am Ring zu sehen.
Frohe Weihnachtsgrüße vom lang(sam)en Thomas
das ist eine sehr bewegende und exzellent geschriebene Weihnachtsgeschichte. Herzlichen Dank dafür.
Ich hatte Dich mit Deiner NATO-grünen 748 letztes und dieses Jahr bei TMB in der Eifel gesehen. Dass so eine Geschichte dahintersteckt, weiß ich erst jetzt. RESPEKT.
Ich wünsche Dir anhaltende Kraft gegen die tückische Krankheit und hoffe, Dich "Rheumator"

Frohe Weihnachtsgrüße vom lang(sam)en Thomas