Leb wohl, kleine Kürbis-Konkubine -Drama in vier, fünf Akten
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Jokes, jeglicher Dummfug oder einfach nur um zu quatschen
Jokes, jeglicher Dummfug oder einfach nur um zu quatschen

- pofpof Offline
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- Registriert: Dienstag 20. Juni 2006, 14:25
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Eine kleine, mitunter wehmütige Wintergeschichte in mehreren Teilen
von Pofpof.
Erster Akt.
Ein beschauliches Stadtviertel mitten im Ruhrgebiet.
Es treten auf: Eine Hackfresse, eine KTM 625 Supercompetition
Baujahr 2002, eine KTM 640 Supermoto mit Soziusplatz Baujahr 2000,
eine weitere Hackfresse, ein Schwabe und reichlich Erinnerungen.
Leb wohl, kleine Kürbis-Konkubine
„Viel Spaß damit und gute Fahrt!“ Ich hebe die Hand und grüße kurz. Der Fremde im Sattel nickt und grinst breit unter seinem völlig abgespielten Uralt-Helm. Kurz zuvor war ihm beim ersten Anfahrversuch mit der KTM Supermoto das Cockpit entgegen gestiegen, was er mit einem lauten „Holla!“ kommentiert hatte. Jetzt ist er vorsichtiger. Er legt den ersten Gang ein und lässt mein Ex-Motorrad vorwärts schnalzen. Dumpf grollend schickt mir das Triebwerk noch einen trotzigen Abschiedsgruß. Ein kurzes orangefarbenes aufblitzen, als die Fuhre auf die Alfredstraße abbiegt. Dann ist die 625 mit dem Fremden im Sattel für immer verschwunden. Ich steige die paar Stufen zur Haustüre hinauf und höre die KTM in der Ferne, das typische knorrige Grunzen, wenn sie sich beim Beschleunigen mit ihrer kräftigen Hinterhand in den Asphalt stemmt. Mir sitzt ein Kloß in der Kehle.
Angefixt
Fünf Jahre zuvor hatte ich im Fachgeschäft meines Vertrauens für orangefarbene Motorräder in Oberhausen gesessen und darüber nachgedacht, dass ich gerade dabei war, meine geliebte grüne 2000er ZX-6R Kawasaki gegen eine Drahtrolle aus Österreich einzutauschen - ohne Komfort, ohne Elektro-Starter, ohne Firlefanz. Dafür die schiere wilde Kraft und reichlich Emotionen in schwarz-orangem Finish auf zwei Siebzehn-Zoll-Speichenrädern, mit lächerlich kleinem Neun-Liter-Tank. Reserve inklusive!
Angefixt hatte mich der Schwabe: Thorsten, ein Zugereister aus dem Süden der Republik und absolut Gaskrank zu diesem Zeitpunkt. Ein Mann, der seine CBR 600 auf der legendären Nordschleife wild zu Bruch und sich selbst dabei einen Oberschenkel in Gips gefahren hatte, nur um dieses Kunststück einige Jahre später mit einer Kilo-Gixxe zu wiederholen, doch diesmal ohne zerknackten Oberschenkel. Zwei Monate war er damals einfach verschwunden. Er, der sonst den Treff am See fast jeden Abend mit immer neuen Erkenntnissen zu beeindrucken wusste, wenn er über Reifen und deren Haftungseigenschaften philosophierte. Oder über Motorräder, speziell Sportler. Oder über seinen damaligen Lieblingsspielplatz in der Eifel: „Wennscht Kloschtertal anbremscht oder Aremberg, muscht...!“
Wie er auf dem Platz stand, mager in der Statur und krumm gezwungen vom Bechterew, des Admirals Gold Wing neben ihm gerade um anderthalb Köpfe überragend, im gelochten, gelb-schwarzen und mit Seriensport-Aufnähern versehenen Schwabenleder-Einteiler, segelohrig, schwarzhaarig und ein bisschen an Joe Dalton erinnernd. Doch die braunen Augen blitzten, wenn er von Cartagena erzählte. Oder vom Hockenheimring. Ein liebenswerter Zeitgenosse, wenn aufgrund seiner Herkunft auch nur schwer zu verstehen und mitunter ein wenig anstrengend. Seine Mädchen-Supermoto mit Soziusplatz hatte er mir in die Hand gedrückt, probieren solle ich das mal, wäre sehr endgeil, so ein Teil. KTM LC4 640 Supermoto. So war ihr Name. Und sie führte mich an einem kalten und verregneten Samstag-Nachmittag in das Kamasutra des Supermoto ein.
Regen und Motorradfahren gehören für mich einfach nicht zusammen. Kalter Regen und Motorradfahren schon gar nicht. Und normalerweise würde mich ein völlig verregneter Februartag mit Außentemperaturen knapp über dem Gefrierpunkt nicht einmal in die Nähe meines Leders kommen lassen, weil das gemütliche Sofa, der Fernseher und die Fernbedienung für den DVD-Player unter solchen Bedingungen vom Aufbewahrungsort meiner Motorrad-Schutzbekleidung so weit entfernt sind wie der Raumhafen von Mos Eisley vom Todesstern des Sith-Imperators. Doch an diesem Samstag war es anders. Irgendeine unsichtbare Kraft zwang mich nach Stoppenberg. Ein Ziehen und Kribbeln, etwas, das ich schon länger nicht mehr gespürt hatte. Etwas, dass mich in die alte, gut abgehangene Thermoboy-Jacke mit Wallace-and-Gromit-Pin schlüpfen ließ, ehe ich überhaupt wusste, warum. Als ich dann im kalten Schnürlregen das polternde, vor sich hin vibrierende Mattighofener Gebirge erklommen hatte und die Kupplung einrücken ließ, wusste ich es. Ich sollte an diesem trüben Nachmittag neu geboren werden. Und zwar als Einzylinder-Jünger. Vier Stunden später war ich steif gefroren und völlig verdreckt, aber restlos glücklich. Alles an Nebenstraßen erreichbare hatte ich unter die Räder genommen, das Felderbachtal sowieso, und dann noch in Schuir hinter der alten Wassermühle an der Pierburg vorbei, wo alles voller Matsch und Dreck lag. Schlingernd und mit teilweise wild auskeilendem Heck zeigte mir die Österreicherin in den engen rutschigen Kurven, dass sie ernst und mit Nachdruck gefahren werden wollte und von vorsichtigem herumkullern überhaupt nichts hielt. Ich war beeindruckt.
Als ich wegen meiner kalten klammen Finger irgendwann Probleme mit der Bedienung der Hebeleien bekam, machte ich mich auf den Rückweg nach Stoppenberg. Meine zu Eis erstarrten Zehen in den knalle kalten Stiefeln spürte ich schon gar nicht mehr. Die KTM hatte ich vor der Rückgabe noch mit dem Wasserschlauch grob gereinigt und bot mich an, auch die Feinsäuberung sofort zu erledigen, sobald der Regen aufgehört hätte. Doch der Schwabe winkte ab und wollte nur Eindrücke. Dabei befingerte er kurz meine von schwarz zu schlammfarben changierende Thermoboy-Jacke, fischte einen lehmgelben dicken Sprenkel ab, zerrieb ihn versonnen zwischen Daumen und Zeigefinger, nickte kaum merklich und grinste breit.
Dass ich mit diesem groben Bolzgerät bei fünf Grad Plus und Dauerregen meine Hausrunde fast ebenso schnell gefahren war wie mit der ZX-6R im Trockenen, hatte mich sehr verunsichert. Hatte die KTM den Teufel im Chassis? War ich über Nacht plötzlich zum Crack geworden? Hatte mich gar ein genmanipulierter Kartoffelkäfer gebissen und mich zu einer Art Rübenacker-Superhelden werden lassen? Ich wusste es nicht. Was ich aber nun wusste war die Tatsache, dass ich so ein Motorrad haben musste. Und es war nicht länger ein Geheimnis für mich, warum mich meine beiden Kumpel Pino und Jürgen mit ihren österreichischen Spaßgeräten auf engerem Geläuf immer mühelos panieren konnten, obwohl ich mit der durchaus handlichen und schnellen Kawasaki alles gegeben hatte.
Wehmut und Knochenbrüche
Die Wohnungstür klappt hinter mir zu. Mein Kopfkino zeigt kurze Einspieler: Gaerne-Crossbocken, die auf einen Kickstarter treten, eine orange Smith Warp Crossbrille über einen orangen Premier Crosshelm gezogen, die Attacke auf meinen Vordermann am Vogelsbergring, mit dem ich mich Runde um Runde gekäbbelt hatte und der nun, viel zu spät auf der Bremse, aufmachen musste und ins Off rodelte. Das Gefühl, wenn der Eintopf unter mir seine Muckies spannte. Der Adrenalinschub, wenn beim Rausfeuern aus einer Kurve das Vorderrad stieg oder das Heck quer trieb. Die Sicht auf die Maschine aus der Vogelperspektive nach einem trockenen Highsider. Das Röntgengerät beim Unfallchirurgen. Schnelle, kurze Schnitte. Bunte Bilder.
Auf dem Tisch im Wohnzimmer liegt der Vertrag, sauber ausgefüllt und unterschrieben. Der Abschiedsbrief meiner orangen Liebe. Ich schließe kurz die Augen und öffne sie dann wieder. Der Vertrag liegt noch immer dort. Und daneben im Umschlag das Geld. Ein bisschen stehe ich neben mir und schalte den Kaffeevollautomaten aus, statt auf die richtige Taste zu drücken und so einen Becher mit dem wohltuenden Heißgetränk zu füllen. Meine Güte, ich habe doch nur ein Motorrad verkauft! Ein Stück Technik. Einen Gegenstand. Doch die Ratio dringt nicht durch bis zum Bauch, und der gibt mir gerade das Gefühl, kurz vor einer wichtigen Prüfung zu stehen. Dieses Gefühl, das einen während der Schulzeit vor einer schlecht vorbereiteten Mathe-Arbeit beschlichen hat. Vor der Führerscheinprüfung. In der Tanzschule, bevor man als pickeliger 15-jähriger Brillenträger mit vor Aufregung feuchten Händen zum ersten Mal ein Mädchen auffordert. Oder dem ersten Vorstellungsgespräch. Ein auf- und ab hüpfender Flummiball, der mal hier, mal dort gegen die Magenwand prallt und dabei jedes Mal eine imaginäre blasse Neonschrift zum Flackern bringt: „Verräter!“
Wehmut steigt mir die Kehle hoch. Erinnerungen. Die letzten völlig verregneten Wochen bin ich immer an der KTM vorbei geschlichen, wenn ich in der Garage war. Früher blieb ich jedes Mal eine Weile, kauerte mich auf die Fersen und ließ den Blick über ihre schmale Sitzbank wandern, über die ungeheuer weit wirkende Entfernung zwischen Kotflügelspitze und Heck, die steilen Flanken, beinahe so hoch und glatt wie die Eigernordwand, die Aluschwinge mit dem an den Seiten blau verfärbten 160er Michelin Slick dazwischen, die mächtige Bremsscheibe vorn und den breiten Magura, mit dem sich die Österreicherin so wunderbar führen ließ. Wie sie so da stand. Drahtig. Muskulös. Das ganze Motorrad drückte Kraft und Wildheit aus. Manchmal hatte ich es im tiefsten Winter nicht mehr ausgehalten und sie angetreten, um ein paar Runden in der Tiefgarage zu drehen, um den harten und wuchtigen Punch des getunten Singles zu spüren und das energische „Broap!“ aus dem Auspuff zu hören. Jetzt husche ich mit leisen Schritten schnell an ihr vorbei, den Kopf zwischen die Schultern eingezogen, und hoffe, dass sie mich nicht bemerkt. Doch jedes Mal spüre ich ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern, als ob sie mir hinterher schauen würde. Den Kauf der 900er Ducati Monster seinerzeit hatte sie mir nicht übelgenommen, auch nicht die Ex-IDM-Supersport-Yamaha in Laaks-Konfiguration, ist weiterhin ohne Probleme spätestens beim zweiten Kick angesprungen und wurde von mir dafür regelmäßig auf der Landstraße oder bei Supermoto-Trainings artgerecht bewegt. Den Wunsch nach Kerben im Lenker oder orangen Ringen um die Gabelholme für jedes gerichtete Nippon-Sportbike habe ich ihr allerdings in den fünf Jahren unserer Beziehung abgeschlagen.
(Fortsetzung folgt)
Glück auf!
Pofpof
von Pofpof.
Erster Akt.
Ein beschauliches Stadtviertel mitten im Ruhrgebiet.
Es treten auf: Eine Hackfresse, eine KTM 625 Supercompetition
Baujahr 2002, eine KTM 640 Supermoto mit Soziusplatz Baujahr 2000,
eine weitere Hackfresse, ein Schwabe und reichlich Erinnerungen.
Leb wohl, kleine Kürbis-Konkubine
„Viel Spaß damit und gute Fahrt!“ Ich hebe die Hand und grüße kurz. Der Fremde im Sattel nickt und grinst breit unter seinem völlig abgespielten Uralt-Helm. Kurz zuvor war ihm beim ersten Anfahrversuch mit der KTM Supermoto das Cockpit entgegen gestiegen, was er mit einem lauten „Holla!“ kommentiert hatte. Jetzt ist er vorsichtiger. Er legt den ersten Gang ein und lässt mein Ex-Motorrad vorwärts schnalzen. Dumpf grollend schickt mir das Triebwerk noch einen trotzigen Abschiedsgruß. Ein kurzes orangefarbenes aufblitzen, als die Fuhre auf die Alfredstraße abbiegt. Dann ist die 625 mit dem Fremden im Sattel für immer verschwunden. Ich steige die paar Stufen zur Haustüre hinauf und höre die KTM in der Ferne, das typische knorrige Grunzen, wenn sie sich beim Beschleunigen mit ihrer kräftigen Hinterhand in den Asphalt stemmt. Mir sitzt ein Kloß in der Kehle.
Angefixt
Fünf Jahre zuvor hatte ich im Fachgeschäft meines Vertrauens für orangefarbene Motorräder in Oberhausen gesessen und darüber nachgedacht, dass ich gerade dabei war, meine geliebte grüne 2000er ZX-6R Kawasaki gegen eine Drahtrolle aus Österreich einzutauschen - ohne Komfort, ohne Elektro-Starter, ohne Firlefanz. Dafür die schiere wilde Kraft und reichlich Emotionen in schwarz-orangem Finish auf zwei Siebzehn-Zoll-Speichenrädern, mit lächerlich kleinem Neun-Liter-Tank. Reserve inklusive!
Angefixt hatte mich der Schwabe: Thorsten, ein Zugereister aus dem Süden der Republik und absolut Gaskrank zu diesem Zeitpunkt. Ein Mann, der seine CBR 600 auf der legendären Nordschleife wild zu Bruch und sich selbst dabei einen Oberschenkel in Gips gefahren hatte, nur um dieses Kunststück einige Jahre später mit einer Kilo-Gixxe zu wiederholen, doch diesmal ohne zerknackten Oberschenkel. Zwei Monate war er damals einfach verschwunden. Er, der sonst den Treff am See fast jeden Abend mit immer neuen Erkenntnissen zu beeindrucken wusste, wenn er über Reifen und deren Haftungseigenschaften philosophierte. Oder über Motorräder, speziell Sportler. Oder über seinen damaligen Lieblingsspielplatz in der Eifel: „Wennscht Kloschtertal anbremscht oder Aremberg, muscht...!“
Wie er auf dem Platz stand, mager in der Statur und krumm gezwungen vom Bechterew, des Admirals Gold Wing neben ihm gerade um anderthalb Köpfe überragend, im gelochten, gelb-schwarzen und mit Seriensport-Aufnähern versehenen Schwabenleder-Einteiler, segelohrig, schwarzhaarig und ein bisschen an Joe Dalton erinnernd. Doch die braunen Augen blitzten, wenn er von Cartagena erzählte. Oder vom Hockenheimring. Ein liebenswerter Zeitgenosse, wenn aufgrund seiner Herkunft auch nur schwer zu verstehen und mitunter ein wenig anstrengend. Seine Mädchen-Supermoto mit Soziusplatz hatte er mir in die Hand gedrückt, probieren solle ich das mal, wäre sehr endgeil, so ein Teil. KTM LC4 640 Supermoto. So war ihr Name. Und sie führte mich an einem kalten und verregneten Samstag-Nachmittag in das Kamasutra des Supermoto ein.
Regen und Motorradfahren gehören für mich einfach nicht zusammen. Kalter Regen und Motorradfahren schon gar nicht. Und normalerweise würde mich ein völlig verregneter Februartag mit Außentemperaturen knapp über dem Gefrierpunkt nicht einmal in die Nähe meines Leders kommen lassen, weil das gemütliche Sofa, der Fernseher und die Fernbedienung für den DVD-Player unter solchen Bedingungen vom Aufbewahrungsort meiner Motorrad-Schutzbekleidung so weit entfernt sind wie der Raumhafen von Mos Eisley vom Todesstern des Sith-Imperators. Doch an diesem Samstag war es anders. Irgendeine unsichtbare Kraft zwang mich nach Stoppenberg. Ein Ziehen und Kribbeln, etwas, das ich schon länger nicht mehr gespürt hatte. Etwas, dass mich in die alte, gut abgehangene Thermoboy-Jacke mit Wallace-and-Gromit-Pin schlüpfen ließ, ehe ich überhaupt wusste, warum. Als ich dann im kalten Schnürlregen das polternde, vor sich hin vibrierende Mattighofener Gebirge erklommen hatte und die Kupplung einrücken ließ, wusste ich es. Ich sollte an diesem trüben Nachmittag neu geboren werden. Und zwar als Einzylinder-Jünger. Vier Stunden später war ich steif gefroren und völlig verdreckt, aber restlos glücklich. Alles an Nebenstraßen erreichbare hatte ich unter die Räder genommen, das Felderbachtal sowieso, und dann noch in Schuir hinter der alten Wassermühle an der Pierburg vorbei, wo alles voller Matsch und Dreck lag. Schlingernd und mit teilweise wild auskeilendem Heck zeigte mir die Österreicherin in den engen rutschigen Kurven, dass sie ernst und mit Nachdruck gefahren werden wollte und von vorsichtigem herumkullern überhaupt nichts hielt. Ich war beeindruckt.
Als ich wegen meiner kalten klammen Finger irgendwann Probleme mit der Bedienung der Hebeleien bekam, machte ich mich auf den Rückweg nach Stoppenberg. Meine zu Eis erstarrten Zehen in den knalle kalten Stiefeln spürte ich schon gar nicht mehr. Die KTM hatte ich vor der Rückgabe noch mit dem Wasserschlauch grob gereinigt und bot mich an, auch die Feinsäuberung sofort zu erledigen, sobald der Regen aufgehört hätte. Doch der Schwabe winkte ab und wollte nur Eindrücke. Dabei befingerte er kurz meine von schwarz zu schlammfarben changierende Thermoboy-Jacke, fischte einen lehmgelben dicken Sprenkel ab, zerrieb ihn versonnen zwischen Daumen und Zeigefinger, nickte kaum merklich und grinste breit.
Dass ich mit diesem groben Bolzgerät bei fünf Grad Plus und Dauerregen meine Hausrunde fast ebenso schnell gefahren war wie mit der ZX-6R im Trockenen, hatte mich sehr verunsichert. Hatte die KTM den Teufel im Chassis? War ich über Nacht plötzlich zum Crack geworden? Hatte mich gar ein genmanipulierter Kartoffelkäfer gebissen und mich zu einer Art Rübenacker-Superhelden werden lassen? Ich wusste es nicht. Was ich aber nun wusste war die Tatsache, dass ich so ein Motorrad haben musste. Und es war nicht länger ein Geheimnis für mich, warum mich meine beiden Kumpel Pino und Jürgen mit ihren österreichischen Spaßgeräten auf engerem Geläuf immer mühelos panieren konnten, obwohl ich mit der durchaus handlichen und schnellen Kawasaki alles gegeben hatte.
Wehmut und Knochenbrüche
Die Wohnungstür klappt hinter mir zu. Mein Kopfkino zeigt kurze Einspieler: Gaerne-Crossbocken, die auf einen Kickstarter treten, eine orange Smith Warp Crossbrille über einen orangen Premier Crosshelm gezogen, die Attacke auf meinen Vordermann am Vogelsbergring, mit dem ich mich Runde um Runde gekäbbelt hatte und der nun, viel zu spät auf der Bremse, aufmachen musste und ins Off rodelte. Das Gefühl, wenn der Eintopf unter mir seine Muckies spannte. Der Adrenalinschub, wenn beim Rausfeuern aus einer Kurve das Vorderrad stieg oder das Heck quer trieb. Die Sicht auf die Maschine aus der Vogelperspektive nach einem trockenen Highsider. Das Röntgengerät beim Unfallchirurgen. Schnelle, kurze Schnitte. Bunte Bilder.
Auf dem Tisch im Wohnzimmer liegt der Vertrag, sauber ausgefüllt und unterschrieben. Der Abschiedsbrief meiner orangen Liebe. Ich schließe kurz die Augen und öffne sie dann wieder. Der Vertrag liegt noch immer dort. Und daneben im Umschlag das Geld. Ein bisschen stehe ich neben mir und schalte den Kaffeevollautomaten aus, statt auf die richtige Taste zu drücken und so einen Becher mit dem wohltuenden Heißgetränk zu füllen. Meine Güte, ich habe doch nur ein Motorrad verkauft! Ein Stück Technik. Einen Gegenstand. Doch die Ratio dringt nicht durch bis zum Bauch, und der gibt mir gerade das Gefühl, kurz vor einer wichtigen Prüfung zu stehen. Dieses Gefühl, das einen während der Schulzeit vor einer schlecht vorbereiteten Mathe-Arbeit beschlichen hat. Vor der Führerscheinprüfung. In der Tanzschule, bevor man als pickeliger 15-jähriger Brillenträger mit vor Aufregung feuchten Händen zum ersten Mal ein Mädchen auffordert. Oder dem ersten Vorstellungsgespräch. Ein auf- und ab hüpfender Flummiball, der mal hier, mal dort gegen die Magenwand prallt und dabei jedes Mal eine imaginäre blasse Neonschrift zum Flackern bringt: „Verräter!“
Wehmut steigt mir die Kehle hoch. Erinnerungen. Die letzten völlig verregneten Wochen bin ich immer an der KTM vorbei geschlichen, wenn ich in der Garage war. Früher blieb ich jedes Mal eine Weile, kauerte mich auf die Fersen und ließ den Blick über ihre schmale Sitzbank wandern, über die ungeheuer weit wirkende Entfernung zwischen Kotflügelspitze und Heck, die steilen Flanken, beinahe so hoch und glatt wie die Eigernordwand, die Aluschwinge mit dem an den Seiten blau verfärbten 160er Michelin Slick dazwischen, die mächtige Bremsscheibe vorn und den breiten Magura, mit dem sich die Österreicherin so wunderbar führen ließ. Wie sie so da stand. Drahtig. Muskulös. Das ganze Motorrad drückte Kraft und Wildheit aus. Manchmal hatte ich es im tiefsten Winter nicht mehr ausgehalten und sie angetreten, um ein paar Runden in der Tiefgarage zu drehen, um den harten und wuchtigen Punch des getunten Singles zu spüren und das energische „Broap!“ aus dem Auspuff zu hören. Jetzt husche ich mit leisen Schritten schnell an ihr vorbei, den Kopf zwischen die Schultern eingezogen, und hoffe, dass sie mich nicht bemerkt. Doch jedes Mal spüre ich ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern, als ob sie mir hinterher schauen würde. Den Kauf der 900er Ducati Monster seinerzeit hatte sie mir nicht übelgenommen, auch nicht die Ex-IDM-Supersport-Yamaha in Laaks-Konfiguration, ist weiterhin ohne Probleme spätestens beim zweiten Kick angesprungen und wurde von mir dafür regelmäßig auf der Landstraße oder bei Supermoto-Trainings artgerecht bewegt. Den Wunsch nach Kerben im Lenker oder orangen Ringen um die Gabelholme für jedes gerichtete Nippon-Sportbike habe ich ihr allerdings in den fünf Jahren unserer Beziehung abgeschlagen.
(Fortsetzung folgt)
Glück auf!
Pofpof
Man soll keine Dummheit zweimal begehen - die Auswahl ist schließlich groß genug!
Ui ui uiui...ganz grosses Kino Pofpof...mein Earl Grey ist kalt geworden beim lesen ...seeeehr schön geschrieben..



"Wenn du tot bist, dann weißt du nicht, dass du tot bist. Es ist nur schwer für die anderen. Genau so ist es, wenn du blöd bist."


Danke Herr Pof!!
- Ketchup#13 Offline
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- andy916 Offline
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