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Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

Infos zu und mit Veranstaltern, aber auch zu anderen Themen,
über die es sich lohnt zu sprechen!

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Spaß mit Chilis, den gab es wie allgemein bekannt, meistens zweimal. :toilet:

Und das war gut so, denn schließlich wollte ich fahren. Zumindest wollte ich es versuchen. Und jedes Gramm Gewicht (ja, hätte auch die ganze Pizza weglassen können) zählte doch, oder? Ich konnte mir alles so schönreden, wie ich es nur wollte.

Il meccanico hatte gesagt: ausprobieren. Also stand ich im Fahrerlager in meiner Lederpelle und stülpte mir abermals die Styroporschüssel über die Ohren. Die Hoffnung war klein - und wurde glatt zerstört. Auf der ersten längeren Geraden ging es wieder los. Ich drehte rechts, etwas drehte zu. Scheiße. Der kleine italienische Wuschelkopf hatte zwar etwas getan, aber es hatte definitiv nichts geholfen. Abermals sah ich zu, dass ich so schnell wie möglich die Strecke verließ, um Unheil zu verhindern.

Da stand es nun, das gelbe Gerät. Und daneben standen zwei Paar Beine mit ratlosen Gesichtern darüber. Ich erklärte, dass es nichts würde mit dem Fahren und lud natürlich dazu ein, es gern mal selbst auszuprobieren. Ich machte mich daran, einen Berichtszettel auf Italienisch zu verfassen. Und während ich überlegte, was ich schreiben sollte, um dann genau das mit Hilfe des Wischbrettchens zusammenzuübersetzen, erschien immer wieder eine Zahl in meinem Kopf. 50€, wenn sie immer noch kein Geld wollten, würde ich ihnen 50€ für den Zeitaufwand geben.
Bewaffnet mit meinem Portemonnaie, meinem Zettel und mit dem Auftrag, eine Motordeckeldichtung für eine R1 mitzubringen und eine Krümmerdichtung für die R6, die sich irgendwie anders anhörte (obwohl man die wechseln sollte, war die Dichtung immer noch die alte), radelte ich dann in Richtung Glaspalast. Ich hatte mir auch extra etwas Ordentliches angezogen. Man wusste ja nie.

Nachdem sich geklärt hatte, dass sich keine R6-Dichtung im Haus befand, und dass man leider immer noch keinen Rat wusste, aber die R6-Dichtung vielleicht oder auch nicht in der nächsten Ersatzteillieferung gebracht werden konnte, befand ich mich wie befürchtet mit diversen blauen Bekleidungsstücken in der Umkleide des Ladens. Zuletzt stand ich hier vor einem Jahr. Es hatte zu viel geregnet, und mit Fahren war es Essig. Ich ging mit einem Yamaha-Kapuzenpulli. Diesmal hatte ich zwei T-Shirts und eine Softshelljacke am Wickel. Als ich an der Kasse stand, war klar: die Dichtung für eine R6 war kurzfristig nicht aufzutreiben. Was sie denn für die Mechanikerarbeiten haben wollten? 50 €.

Zufrieden grinste ich in mich hinein. Ja, ja, ich hatte bei Harry Wijnvoord immer gut aufgepasst. Weniger zufrieden berichtete ich dann, dass mir niemand helfen konnte. Und gefahren war doch auch niemand, oder?

Mann war gefahren, hatte aber nach nicht einmal einer Runde schon genug von dem Theater.

Wieder kam der Tank herunter und diesmal ging es an die EIngeweide. Die Translogic-Logik hatte vielleicht einen Fehler und sollte herausfliegen. Das war gar nicht so einfach. Denn Stecker und Kabel mussten entbunden werden, und das Original wieder an seinen Platz. Aus der Box mit den Schaltstangen (kann man nie genug von haben) musste die mit der richtigen Länge ausgewählt werden. Mit Hilfe eines karierten Papiers ging das doch relativ zügig.

Das Orginal. Das Original war eine Sparversion von dem Original, was in einer R1 saß. Es nannte sich Quickshifter.
:horseshit:

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von Klaus69 »

Schön das es weiter geht. Wobei sich das bisherige zwar spannend, aber weit weniger schön darstellt...
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Die Mittagspause war vorbei, und das gelbe Gerät hatte keinen Blipper mehr. Das Teil, was mich neben dem eigentlichen Teil, also dem gelben, am schnellsten schnell gemacht hatte, war weg. Immer noch zweifelnd, dass das des Rätsels Lösung gewesen sein sollte, verzichtete ich auf die Probefahrt und übergab die Gelegenheit an den Hausmechaniker.

"Toll, wie die jetzt vorwärts geht. Der neue Motor geht richtig gut", ungläubig fiel mir kurz nach ebendieser Probefahrt abermals die Kinnlade herunter. Ein "Alles in Ordnung" rundete den Begeisterungsschwall ab.

Ein Motorrad mit einem Quickshifter stand da fahrbereit vor mir. Und das hatte nur einen halben Blipper. So viel war klar. Worte klingelten zwischen meinen Ohren. "Boah, das hat richtig was gebracht. Nachdem ich den bedienen konnte", erzählte Irokesenmann von seinem seit dieser Saison fleißig genutzen Quickshifter. Ich stand dabei bisher immer betreten da und wusste nicht, ob ich mich schämen oder freuen sollte. Ein Quickshifter war nicht das, was ich bedienen konnte, und wenn ich damit fahren müsste, würde das bestimmt eher Minuten kosten als Sekunden.

Es war nicht einmal mehr ein halber Tag zum Fahren übrig. Mangels Qualifikation war ich eh schon in der Restegruppe gelandet. Morgen würde es sehr wahrscheinlich ordentlich regnen. Was hatte ich zu verlieren? Ich wollte meine Rüstung anziehen. Ich war bereit für den Kampf gegen den Kupplungshebel. Zu allererst versuchte ich, in Trockenübung daran zu ziehen. Was war das denn? Wer hatte denn diesen Kackhebel angebaut? (ich wusste, wer) Und wieso hat mich niemand gefragt, ob ich den haben will?!? (weil mich selten jemand danach fragt, was ich möchte) So kann ich ohne Sehenscheidenentzündung niemals fahren...ich komme nicht einmal mit den Fingern geschmeidig daran. :bang:

Die nächsten Minuten verbrachte ich damit, darüber eine Debatte zu führen, warum es wichtig ist, dass ich mit den Fingern meinen Kupplungshebel bedienen kann, und dass es nicht wichtig ist, etwas zu ersetzen, was für mich gut funktioniert, nur, weil es jemand anders es besser findet, einen neuen schwarzen langen Hebel am Stummel zu haben. Weder hatte ich das gewollt, noch war ich interessiert daran, ursächlich für die Kiesplatzer an dem anderen Hebel Verantwortliche optisch zu entlasten.

So schlimm sei das alles gar nicht, hörte ich. Der alte Hebel sei ja noch da und vor allem hier. Toll. Hätte ich gern ohne einen Auftritt im Debattierklub gewusst.
Ich drehe und wende den Hebel. Schön war anders, aber er sah noch gut aus, nicht beschädigt, bis auf das Aussehen. Nur noch voll von assenschem Kiesstaub. Ja, ich könne den doch mit Bremsenreiniger saubermachen. Und wo ist das gute Zeug? Haben wir nicht dabei. :banging: Aaah. Mal wieder andere Leute um Hilfe fragen. Habe ich lange nicht mehr gemacht. In der Wagenburg vor dem WC-Haus bietet man mir Silikonspray an. Und es wäre auch nicht schlimm, wenn ich viel davon nähme. Ich nahm den Hebel und duschte ihn, bis er sich endlich ohne Knirschen bewegen ließ. Sehr gut. Der Hebel hebelte wieder und ich konnte ihn anbauen.

Also dann, Kameraden. Legen wir Gänge von Hand ein!
:horseshit:

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Erstaunen.

Dieses Motorrad war ein ganz anderes als das vom Vormittag. Es zwitscherte mich zwar immer noch fröhlich von vorn unten an, aber es fuhr - und das sogar vorwärts, ganz ohne Sperenzchen. Auf Begeisterung folgte Ernüchterung. Määäääh, määääääääääh, määäääääääääääääh in die eine Richtung. MmmmmmmäääääÄÄÄÄÄÄÄÄÄh, MmmÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄH in die andere. Während die linke Hand versuchte, den Befehl zu verarbeiten, einen Hebel laaaaangsam in Richtung vorn loszulassen, belegte die Praxis meine Unfähigkeit. Und als ob es nicht schon besorgniserregend genug war, mit einer ungeplant hohen Drehzahl einem neuen Motor Gänge reinzuklopfen, während es Mmmmmmää machte, also kurz vor dem ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄH, saß ich jedes Mal mit großen Augen auf dem Hobel und starrte in die Kurve. Wo war meine Entschleunigung geblieben?!? Ich flog auf die Kurven zu, und hatte überhaupt keine Motorbremse mehr. Und damit verbunden überhaupt kein Gefühl mehr, was wie lange dauerte und bis wann ich wie viel verzögern konnte. Egal welches Schild wo ein Abbiegen anzeigte, mir stellten sich die Nackenhaare auf, und ich bekam es mit der Angst zu tun. Was, wenn ich jemanden abräumen würde. Oder wenn sich jemand an mir verschätzte?

Es gab hier und jetzt nur eine Möglichkeit. Ich musste höllisch aufpassen auf die anderen. Meine Bremspunkte wanderten so weit nach vorne, dass sie mal wieder Reinrollpunkte waren. Und dazwischen rappelte die Rechenmaschine und verglich Geschwindigkeiten und Abstände zu den Teilnehmern vor mir. Irgendwann schaffte ich es sogar, die zwei Punkte am Horizont einzuholen, die ich verfolgt hatte. Eine Honda mit mintblau-weißem Design, die mit einer neonbunt-schwarzen Dame im Schlepptau unterwegs war.

Die Dame hatte aufgrund ihrer jungen Karriere noch eine ausgeprägte Überholschwäche, und trotz meiner verdammt ausgeprägten Schaltschwäche kam ich vorbei. Dann überholte mich wieder die Honda. Und es sah so aus, als ob da jemand wartete. Es kam nichts Neonbuntes. OK, dann mach ich das. Ich gab mir Mühe, eine einigermaßen runde Fahrweise zu praktizieren, und langsam kam ich auch aus dem "Vor 10000 upm hochschalten-Modus" heraus. Und am Ende hatte ich das Gefühl, dass es tatsächlich besser ging. In den Aufzeichnungen konnte ich nachsehen, dass ich in diesem Turn, meinem ersten richtigen in dieser Veranstaltung, eine 2:03 gefahren war. Das Beste, was vorher zu machen war, lag um die 2:10. Was es doch ausmacht, wenn der Vorschub behindert wird.

Die Rechenmaschine rappelte weiter, auch als ich die R6 längst abgestellt hatte. Originalzustand war immer der robusteste. Jegliche Umbauten brachten Fehlerquellen, die schwer zu finden und kompliziert zu beheben waren. Vielleicht sollte es einfach so bleiben. Andere Leute waren jetzt zig Jahre mit Quickshiftern unterwegs und konnten auch damit fahren. Der Mintblaue Mann suchte mich auf und überbrachte Komplimente und den Hinweis, dass ja unter zwei Minuten locker drin wären. Schmerzbegeistert entgegnete ich "Ja, weiß ich. Bin ich schon gefahren. (eine 1:56) Ich habe hier nur gerade ein Problem mit der Schalterei." Ich bekomme erklärt, dass man ja die Motorbremse gezielt einsetzen kann, und dass das ja von Vorteil wäre. Oh, je...

Meinen letzten Turn heute und vermutlich regenbedingt der ganzen Veranstaltung übte ich fleißig, mich wieder an das allein Bremshebel gebremste auf die Kurve Zufliegen zu gewöhnen und meine Motorbremse geschmeidiger mit der linken Hand selbst zu installieren. Vielleicht sollte das ja für die Zukunft mein Setup bleiben. Üben lohnte sich also.

Schneller wurde ich nicht. Ich war eine 2:03 gefahren und damit mehr als zufrieden. Keinen Blipper und nur zwei Turns zu haben, macht etwa sieben Sekunden langsamer. Nur falls mal jemand darüber nachdenkt, einen zu installieren.
:horseshit:

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Die Wettervorhersage schwankte zwischen Weltuntergang und normalem Regenwetter, was irgendwann am Abend einsetzen sollte. Und wer einmal erlebt hatte, was ein solcher Weltuntergang bedeutete, der wusste sich darauf vorzubereiten.

Vielleicht wurde es ja gar nicht so schlimm, und eventuell konnte man ja doch am Mittwoch noch trockene Runden drehen. Vielleicht. Vielleicht bekamen wir aber auch eine Neuauflage von Überschwemmung. Mit Sturm und Gewitter und allem, was dazugehört. Aber heute Abend losfahren wollte ich nicht. Zu müde, zu erschöpft vom emotionalen Auf und Ab. Dann lieber noch einmal Pizza. Man würde im Laufe des Vormittags sehen können, wie es sich entwickelte.
Die Österreicher, deren Box wir mit unseren Mopeds besetzten, hatten das anders gesehen und waren längst abgereist. Freundlich hatte man uns den Schlüssel übergeben. Und so konnte ich unsere polnischen Nachbarn auch noch dazu einladen, die Zelte präventiv abzubauen und die Zweiräder in der Box zu parken. Sie waren eh schon am Einräumen und Boxenplatz konnte man gut teilen. Die Begleitdame hatte den ganzen Tag gebraten und geschnippelt und gekocht und uns zwei Teller Tomatensuppe mit Basilikum und Mozzarella servieren lassen. Die konnte man nicht einfach im Regen stehen lassen. Und wenn es schlimm würde, dann wären sie als Nicht-Paddock-Schläfer gar nicht da. Und glücklicherweise nahmen sie die Einladung an. Ich hätte sonst wohl nicht schlafen können, mit potentiellem Unheil im Verzug.

Wann sollte es noch einmal losgehen? Ich sah zum Himmel. Es blitzte über Rimini. Kein Donner, kein Regen. Ach, was soll's ich packte meinen Poncho ein und wir beschlossen, noch einmal zu Pizza und Eis zu radeln. Fantastisch, wie gestern. Und sowas von Value for Money.

Zurück im Fahrerlager vermisste ich immer noch den Regen. Es hätte längst anfangen sollen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass sich etwas geändert hatte in der Wetterlage. Und tatsächlich - es war nicht mehr Weltuntergang angesagt, sondern nur noch ganz normaler Regen, der später einsetzen sollte.

Am nächsten Vormittag war es nass. Und leise. Niemand schien fahren zu wollen. Bis auf diesen einen Regenfahrer, der unerschrocken und unermüdlich seine Kreise zog. Im Laufe des Vormittags gesellten sich weitere dazu. Der Regen hörte auf, und es trocknete ab. Ich bestellte Frühstück bei der Paddock-Snack-Bar, und sogar unser Henning schien damit zufrieden zu sein.

Nach dem gemütlichen Start in den Tag schlich sich gegen Mittag die Realität ein. Heute würden wir nicht mehr auf trockene Strecke warten. Und mit einem "mal sehen, wie weit wir kommen" fingen wir an, den Rest einzuladen. Um halb zwölf fuhr ich aus dem Paddock. Es war immer noch nicht trocken, aber regnete nicht mehr. Kein allzu schlechtes Reisewetter. Es waren um die 1500km zu bewältigen, und ich hoffte auf gnädigen Verlauf und darauf, dass sich zur rechten Zeit ein beparkbares Hotel finden ließ.
:horseshit:

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Die Kindschaft würde sich sicher freuen, Eltern früher wieder begrüßen zu dürfen, und der Opa, der hatte Terminnot und wollte bestimmt gern früher los. Also alles Win-Win. Außer für mich. Ich fuhr. Ich fuhr auch noch, als die Sonne längst untergegangen war. Und obwohl ich müde war, konnte ich meinen Sitz nicht gegen eine Schnarchgelegenheit tauschen. Seit ich einmal selig auf dem Beifahrersitz schlafend in der Leitplanke gelandet war, konnte ich sowieso nicht mehr schlafen, wenn unser Henning fuhr. Und wenn es dunkel war und alle müde, konnte ich immer noch sehr gut fehlerfrei fahren. Aber auch meine Kapazitäten waren begrenzt. Ich sehnte mich nach einem Bett. Und der Henning? Der hatte in seinem stundenlangen Dauerwischmodus nicht eine Hotelbuchungsseite aufgerufen. Es gab kein Bett. Und egal, wie oft ich anmerkte, dass ich gern mal schlafen würde, immer wieder kam nur die eine Antwort. Nee, wir fahren durch. Ohne Kraft für Diskussionen beließ ich es dabei und juckelte weiter. Der Henning schnarchte.
Gegen Mitternacht waren wir an einer Abfahrt, die durch ein goldenes M in Kombination mit einem Esso auf sich aufmerksam gemacht hatte. Das würde gleich mehrere Probleme lösen: Ich musste Pipi, Autoscheibe und Spiegel säubern und dringend mehr Koffein einwerfen. Tanken wäre auch nicht schlecht. Gerade um den Kreisverkehr gebogen sah ich ein Schild mit dem dezenten Hinweis, dass es keine Wendemöglichkeit für LKW gäbe, also ein Point of No Return. Und was für LKW galt, das traf häufig auch auf größere Gespanne zu. Niemand außer mir fand das besorgniserregend, also fuhr ich weiter. Und da war sie, eine kleine, schmale Landstraßentankstelle. "Kein Problem", vernahm ich von meiner rechten Seite. Ich müsse nur einen großen Bogen fahren. Ich als Novizin am Gespannsteuer fand das schon fragwürdig, meldete aber kein Diskussionsbedürfnis an. Also drehte ich einen großen Einlenkschlenker - und steckte fest. Beziehungsweise ich zog die Notbremse. Ein Point of No Return. Ich sah in den Spiegel, die Anhängerräder waren auf Kurs, das Zapfsäulenpodest zu bügeln. Ich sah links duch die Scheibe und der Raum für meinen linken Kotflügel war verdunstet. Rückwärts? Keine Chance. Es musste vorwärts weitergehen. Auf die Frage, ob denn der Henning aussteigen sollte und gucken, antwortete ich mit Schweigen. Ich drehte beide vorderen Fenster hinunter und ging auf Schleichfahrt. Auf dem Fahrersitz saß irgend etwas zwischen Jürgen Prochnow und Martin Semmelrogge in ihrer besten Rolle. Anstelle der Werte vom Tiefenmesser wurden mir Abstände zu Hindernissen rechts und links zugerufen. Anstelle des Echolots meldeten sich die Abstandsmesser vom Super B. Der Motor war kaum zu hören, ich traute mich nicht, die Bremse loszulassen. Der Anhänger musste am Zapfsäulenpodest vorbei, auch wenn das eine Selbstbeteiligung von 500€ kosten würde. "Noch weiter nach links", rief es. Links stand leider ein Regalkasten mit Jalousie, in dem Tankstellenzeugs feilgeboten wurde. Ich aktivierte den Spiegeleindrehmechanismus und drehte das Seitenruder nach links. Ich wusste nicht mehr, welches Hindernis jetzt am nächsten war. Alle Abstandswarner piepten laut vor sich hin. Neben mir verließ ein Angestellter das Haus und schloss ab und verschwand wortlos. Vermutlich wollte er nicht schon wieder einen Schaden melden. Dahin ging meine Chance auf eine saubere Scheibe und saubere Spiegel. Es war alles eingeräumt. Langsam, nur auf das Kontaktgeräusch vorne links wartend, schob ich das Gefährt weiter vorwärts. "Hinten passt!", noch kein Grund für Entwarnung. Leicht nach rechts lenkend manövrierte ich den Super B weiter am Kasten vorbei. Geschafft. Ich stand gerade neben der Zapfsäule und konnte tanken. Nachdem der Angestellte seinen Dienst beendet hatte, war hier auch nichts mit Pipi, also ging es weiter zum goldenen M. Auf einem Aldiparkplatz standen schon diverse LKW. Es war überhaupt nicht klar, wie oder wo man hier wieder rauskäme. Mir egal. Ich brauchte eine Pause. Einfach längs hinter einem Laster stellte ich das Gefährt ab und stapfte zum McD. Ich wollte ein Bett, was es nicht gab, und an zweiter Position einen Espresso Macchiato oder so. Warm und nach Pause sollte es schmecken. Mir zitterten immer noch die Hände und der Schweiß unter den Armen war kaum getrocknet. Mit meinem Bezahlschnipsel in der Hand wedelte ich den Mitarbeitern "ich muss kurz Hände waschen (und Pipi) und dann hole ich das ab". Unser Henning war direkt aufs Örtchen. Als ich wiederkam und mein Getränk abholte, sah ich ihn mit den Mitarbeitern diskutierend
"Ich hab hier keinen Empfang", nörgelte es in meine Richtung.
?
"Ich kann keinen Gutschein herunterladen!"
??

??-? Da stand der Mann, den ich geheiratet hatte und diskutierte mitten in der Nacht um Gutscheincoupons, während ich mir eine kurze Pause gönnen wollte, um dann so schnell wie möglich weiterzufahren. Schließlich war ich müde. Und überhaupt. Ich hatte gerade den Mariannengraben hinter mir gelassen und dann das? Ich konnte nicht anders als anzubieten, die 5€ aus meinem Portemonnaie zur Verfügung zu stellen, damit das Drama ein Ende hatte. Und während der Henning irgendwas bestellte und ohne sich nach mir umzusehen damit das Etablissement verließ, saß ich auf einer Kunstlederbank und sah nach Draußen. Ich seufzte und ging hinterher. Mann hatte mich mal wieder nicht gesehen. Kein Wunder, wenn man sich nicht für andere als einen selbst interessierte, da übersah man schnell mal was. Ich erklärte, wo ich gesessen hatte ("Oh") und verabschiedete mich mit der klaren Absicht, die Ausfallstraße zu finden zu Fuß in Richtung E-Ladestelle. Und ja, da konnte man umdrehen. Als ich zurück im Auto war, duftete mich von rechts eine Fahne nach billigem toten Tier mit Raucharoma an. Übel. Das hielt ich jetzt nicht aus. Man möge sich doch bitte irgendwie entstinken.

Und nachdem ich das Gerät gewendet hatte, ging es weiter in Richtung Norden. Bei Schwerin konnte ich wirklich nicht mehr. Jeder Meter mehr hätte eine Leitplanke bedeutet, und zweimal hatte meine R6 bestimmt kein Glück. Und ich auch nicht. Ich übergab das Lenkrad an meinen Beifahrer, der ja ausreichend Ruhe gehabt hatte, und sumselte ein.

Um halb sechs schreckten wir den Opa aus dem Bett, der bestimmt schon Einbrecher vermutet hatte, und ich verzog mich weitestgehend angezogen in das einzige freie Bett. Zumindest eine kleine Weile schlafen, bevor der neue Tag begann. Unser Henning hockte in der Küche und wischte. Der Rest des Tages, nach ein wenig Schlafen, bestand wie immer darin, das Opasche Chaos wieder einzudämmen, Wäsche zu sortieren, Vorräte zu checken und zu planen einzukaufen.
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Zumindest die Kindschaft war froh, wieder die direkten Eltern im Haus zu haben. Ich war froh, wieder die Möglichkeit zu haben, mich mit Arbeit ablenken zu können, denn in zwei Wochen wartete eine Reise nach Barcelona, genauer Montmeló, auf uns. Obwohl ich oft die Tribüne von der A7 aus gesehen hatte, immer war ich bisher vorbeigefahren. Und irgendwie zog mich auch so gar nichts an diese Rennstrecke. Sie war in erster Linie teuer und gleich danach unendlich unattraktiv, was die Lage anging. Hässlicher war es, glaube ich, nur noch um die Strecke in Cartagena herum. Aber dieses Jahr, da wollte der Henning gerne dort anhalten und zu fahren. Und ich wollte das nutzen, um die Kindschaft mit Aktivitäten in Barcelona zu bespaßen.

Das änderte nichts daran, dass auf dem Hof weiterhin eine R6 mit ohne Blipper stand. Aber Rettung sollte unterwegs sein, bereits während der Rückfahrt hatte ein Gespräch mit TGP Hoffnung versprochen, und ich hatte mit einer zügigen Überweisung einen Versand in die Wege geleitet, der ein "robusteres System" liefern sollte. Schuld an der Drosselklappenirritation konnte eine Kommunikationsstörung gewesen sein. Und die Kabel eines HM Stand Alone Blipper Systems solten doch deutlich weniger dieser Störungen verursachen.

Was nun wirklich zu den Problemen geführt hatte, war immer noch unklar. War es ein Defekt durch einen Kieskontakt in Assen? War es eine Fehlverlegung nach Motortausch? War es ein Defekt im System? Hatte ich völlig unbegründet einen neuen Motor in mein Moped hineinargumentiert? Wir werden es nie wissen. Klar war nur: dasselbe noch einmal einzubauen hatte wenig Sinn. Und es nur bei einem Quickshifter zu belassen hatte irgendwie genau so wenig Sinn. Also durfte der Hausmechaniker auch dieses Dingen einbauen. Obwohl ich sehr offen dafür war, alles in einer echten Werkstatt erledigen zu lassen. Eine, die ich noch finden musste. Aber da gab es bestimmt irgendwo wen, der sein Geld damit verdiente und einfach nur gute Arbeit ablieferte. "Andrea, such dir nen guten Schrauber." Oft hatte ich das oder Ähnliches gehört. Die Recherche war aber bisher ausgeblieben.

Dieses Oktoberevent war eine Kombination aus drei Tagen Speer, drei Tagen frei und zwei Tagen Box23. Ich hatte uns die Sagrada Familia gebucht. Und ich hatte einen Platz im Parkhaus an der Kolumbussäule reserviert und ich hatte Öffnungszeiten vom Palau Guell und der Touribus-Hop on/off-Geschichte nachgesehen. Und ich hatte mich durchgesetzt, die Hinreise mit zwei Hotelübernachtungen zu realisieren, um am Sonntag noch einigermaßen fit ankommen zu können. Also hatten wir am ersten Ferientag noch Zeit für ein Frühstück, und ich konnte nach Muckibude, Auto Tanken und Waschen noch alles einkaufen, was wir so mitnehmen wollten.

Kindertaschen durfte ich nicht mehr prüfen. Man versicherte mir standhaft, dass man alles eingepackt habe. Dass Lea weder Badeschlappen, noch Handtuch dabei hatte, merkten wir erst in Spanien. Aber gut, man lernt nur durch seine eigenen Erfahrungen. Nicht mal mehr acht Jahre und ich wäre offiziell raus aus den Nummer. Je früher man selbständig war, desto besser.

Aus um acht Uhr losfahren wurde dann etwas gegen halb zehn. Aber der Verkehr war gnädig, und erlaubte uns, frühzeitig im B&B Rust-Ettenheim anzukommen. So frühzeitig, dass die Burgerbar in der Nähe noch Essen für uns auftischen konnte. Barcelona, da wollte ich selbst so gar nichts. Ich hatte eigentlich nur gebucht, weil die Herren Pütz und Schuster so überzeugend gewesen waren. Und dann, wie sich früher und später herausstellte, blieben ebendiese Herren der Veranstaltung fern. Wir würden also neue Bekanntschaften knüpfen müssen.

Die Reise durch Frankreich dauerte fast länger als die durch Deutschland. Der Wind blies heftig über den Rhône und schaukelte den Anhänger teils so sehr, dass mehr als 90 km/h nicht drin waren. Aber auch an diesem Tag waren wir früh genug da, um noch im Buffalo Grill abzusteigen. Tage der gepflegten Kulinarik. Was soll's. Die Zeit bis zum Aufbruch musste ich leider nutzen, um Krempel vom Schreibtisch wegzuarbeiten, der am Freitag leider nicht leer verlassen werden konnte. Auch nach dem Essen saß ich noch. Und weil Kopfweh und der lange Tag nicht halfen, erbat ich absolute Ruhe, damit ich keinen Fehler machte. Warum bloß kamen dieses Jahr alle so früh aus ihren Löchern? Wer im letzten Jahr noch bis zum Dezember diskutieren wollte, brauchte unbedingt vor Ende Oktober Preise, und zwar die richtigen. Dazu noch eine Menge neue Produkte im Portfolio und Kunden, die ich nicht kannte. Und wieder mal üüüüüberhaupt keine Erwartungen von oben. Was tat man nicht alles für seinen Hauptsponsor. Kurz vor zehn hatte ich die Nase voll und klappte die Kiste zu. Den Rest würde ich morgen früh abarbeiten und rausschicken. Schöne Ferien!
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von Klaus69 »

Toll wie Du es immer wieder schaffst das Ganze "drumm herum" so Lebhaft darzustellen das man förmlich meint man wäre dabei gewesen.

Rennstrecken und das was man außerhalb davon erleben kann ist halt Aufgrund des mit der Rennerei verbundenen Krachs so `ne Sache ( nein, Ich habe nichts gegen laute Motoren :-). In Almeria ist das ja auch etwas schwierig: "In the middle of nowhere".

Für die nicht Kringelnden Mitreisenden ist`s dann immer schwierig irgendeine Form von Unterhaltung zu finden. In Cartagena ist ja wenigstens der Ort als solcher einen Besuch wehrt.
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von businesskasper »

Ja, man möchte geradezu nicht Henning sein. :)
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von Henning #17 »

businesskasper hat geschrieben: Montag 3. November 2025, 18:00 Ja, man möchte geradezu nicht Henning sein. :)
:lol: der war gut
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