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Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von Henning #17 »

campari hat geschrieben: Montag 10. Juni 2024, 17:47
Fazit der Veranstaltung:
1. Das Experiment Umkehrschaltung ist wohl halbwegs geglückt. Vom Fahren her viel stabiler und auch zum Schalten in Rechtskurven besser als anders herum. Ja, der Henning hatte recht.
Ich habe das mal angepasst :mrgreen:
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Auch mit Jan hatte ich über Gandalf gesprochen. Und wie verzewifelt mich das machte, dass am Kurvenausgang nichts mehr ging. Was zurückkam, war vollstes Verständnis - gepaart mit einem verschmitzten Grinsen und der Antwort:

"Dann musst du dich da eben am Kurveneingang innen reinstellen."


Da muss ich mich da eben reinstellen. Da stand dieser Instruktor, der dafür zuständig war, Fahrer besser und Strecken sicherer zu machen. Und allen Ernstes wollte der von mir, dass ich waghalsige Fahrmanöver ausführe, wie so ein richtiger Rennfahrer.

Zuerst stutzte ich. Dann fing auch ich an zu grinsen. Das war das Schönste, was jemals ein Instruktor zu mir gesagt hatte.
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Ich sollte mich reinstellen.


Das Einzige, was ich fleißig reinstellte, waren Türen, Einlegeböden, Scharniere und Schubladen. In den Mercedes. Das Schicksal hatte uns einige Gebrauchtmöbel für das Jungenzimmer vor die Flinte geschoben und ich hatte geschossen. Es war Dienstag, der 4.6.2024, 19:00 und ich hatte Hamburg noch nicht verlassen. Nicht nur müsste ich das ganze Gerümpel heute noch irgendwo hinstopfen im Haus, es mussten auch noch die restlichen Teile nächstes oder übernächstes Wochenende abgeholt werden. Und leider ließ sich an den Korpi - anders als angekündigt - so gar nichts auseinandernehmen. Die einzige gute Nachricht: es waren nur noch drei Teile.

Vielleicht musste ich auch gar nichts mehr abholen, dachte ich. Eventuell überlebte ich nicht bis zum nächsten Wochenende. Heute noch sollte ich meinen Krempel einpacken, morgen noch schnell in die Firma zwecks Meeting mit Chef und dann ab nach Oschersleben. Für insgesamt vier Tage. Der Opa sollte von Mittwoch Abend bis Freitag aufpassen, dass er nichts dreckig machte und immer rechtzeitig ins Bett ging.

Vier Tage Oschersleben. Wer macht sowas freiwillig? Oschersleben war Oschersleben, nicht Aragon, Assen oder Most. Eigentlich hatte ich gar keine Lust dahin. Vor allem, weil die To-Do-Liste von Flurgeländer schleifen und streichen, Wände streichen, Kinderzimmerwände auch, Fußboden im Flur erneuern und dann auch im Kinderzimmer durch die ungeplanten Möbel verdammt nah vor meinen Augen wedelte. Irgendwann gab ich auf. Ich konnte eh nicht alles schaffen. Man machte Pläne, um sie zu verwerfen. Welcome to Flexibility!

Ich stellte also alles, was ging, irgendwo rein und dabei aus dem Mercedes raus. Da mussten Werkzeugkisten und Gedöns rein. Henning wollte am Mittwoch Axeln, aber das Einpacken ging ja tagsüber nicht, weil ich mit dem Auto weg war. Was für ein Stress. Egal. Wird schon.

Der Tag begann um kurz vor sechs, dann kam moderat Sporteln und Einkaufen für Kinder zuhause und Wegzehrung. Irgendwann am Vormittag klingelte dann der Henning und teilte mir mit, dass die Seilzüge vom Hubbett defekt seien, ich müsse doch noch unbedingt ins Bauhaus und Zeugs kaufen. Wann er das dann heute noch reparieren wollte, ließ er offen. Der Chef überzog frühlich das Meeting, aber ich hatte vorgesorgt. Auf gepacktem Zeugs saß ich da und sprintete zur Tür heraus, als Ende war. Bauhaus, Bauhaus. Und tanken (und eigentlich waschen). Im Bauhaus dauerte das Zusammensuchen des Zeugs etwas länger, während sich mir der Verdacht aufzwang, dass ich mir das doch hätte sparen können. Es würde eh niemand mehr irgendwas reparieren. Dafür war keine Zeit. Für Autowäsche auch nicht.

Zumindest war die Kiste getankt.
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Die Anreise konnte man fast als "smooth" bezeichnen. Nicht einmal Hamburg machte große Probleme. Dennoch fühlte ich mich deutlich im Nachteil, als DavieMavie berichtete, man sei schon angekommen, während ich Stauenden managen musste. Ein gewaltiges Kopfweh machte sich breit, was entweder durch die beste Klimaanlage oder Nichts verursacht wurde, oder aber durch einen Wetterumschwung. Vielleicht auch einfach nur durch Schlafmangel. Das alles störte den Henning nicht. Der verbrachte seine Zeit mit stetigem Streicheln seines Wischbrettchens.

Nach dem dritten Mal Kopfweherwähnung war es ihm wohl immer noch egal. Er hatte keine Schuhe, nur Flip Flops. Da konnte man kategorisch ausschließen, Auto zu fahren. Vor allem, weil man ja zum Fahrerwechsel gewöhnlicherweise nicht anhält. :banging:

Nach 14 Stunden Wachsein platzte mir dezent der Kragen. Das Wischbrettchen wanderte in die Tasche und der Henning erfüllte seine Pflicht, nach Bambis und Getier Ausschau zu halten, während ich mir Mühe gab, die Mitte der Straße zu treffen.

Und das alles für Oschersleben. Ich war verrückt.
:horseshit:

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Davie Mavie hatte uns zusammen mit Pascal einen Platz freigehalten, etwa vor Box 28. Da sollte ich dann bis Sonntag stehenbleiben (was sich als mäßig anstrengend entpuppte). Der Henning würde am Freitag Abend nach Lübeck fahren, den Opa ablösen und Samstagvormittag die Kinder mitbringen. So der Plan. Es gab so einige Pläne. Einer davon war, die überraschend nah an der 1:40 liegende Zeit von Gerhard zu unterbieten, um ihn wieder in die Schranken zu weisen. Er hatte mich herausgefordert, sonst wäre es mir egal gewesen.

Ein anderer Plan war, eventuell doch das Langstreckenrennen mitzufahren. Ich hatte den Irokesenmann bequatscht, aber der zierte sich irgendwie immer mit sowas. In Most bei Futz, da sollte ich mit ihm fahren, aber an diesem Termin nicht. Verrückt. Dabei hatte ich extra einen neuen Hinterreifen dabei. Der Vorderreifen, so der Henning, sollte noch halten. Der war ja vor Assen neu gewesen. Aber der "Handfeger" wollte nicht. Und ich hatte keine Lust, das mit Henning zu machen. Der hühnerte immer rum, so dass alles in Stress ausartete. Das galt es, zu vermeiden. Aber das Einzige, was Irokesenmann hier von mir wollte, war offensichtlich, dass ich mit ihm therapeutisches Fahren machte.

Das wollte allerdings CR Moto nicht. Man hatte mich in eine andere Gruppe gesteckt.

Irgendwie war alles anders. Abgesehen von dem Prozedere mit wo der Transponder hinmuss und so. :mrgreen:

Der erste Tag begann mit Sonnenschein. Und mit einer Erkenntnis. Nur weil ich in Assen gut zurechtkam, musste das noch lange nicht in Oschersleben so sein. Alle drei Meter musste man wohin schalten. Und dann diese Kurven. Anstrengend.

Ich war mit allem viel zu langsam. Mein Prozessor ratterte vor sich hin, bekam aber das Ziehen und Treten nicht synchronisiert. Argh, in jeder Kurve vermutete ich einen Stock und musste mir Mühe geben, den nicht einzusammeln. Vielleicht konnte ich doch noch mit dem Iro fahren, wenn es so weiterging.
Naiv, zu denken, dass eine so weitläufige Strecke wie Assen und dieses Enge Geschlängel aber auch nur minimal gleich zu bewältigen waren. In Assen konnte man zwischen den Kurven Kaffee trinken und sich trotzdem noch bequem durch die Kurve wuseln.

Oschersleben, die Ungnädige. Ich mühte mich ab. Und ohne den Iro ging es nicht weiter. Wenn wir zusammen fuhren, war er für Kurvenspeed zuständig und ich für Beschleunigung. Ohne Probleme halfen wir uns immer, Runde für Runde besser zu werden. Nicht dieses Mal. Während ich mir meiner Inkompetenz deutlich bewusst war, hoffte ich doch, dass er zumindest seinen Schaltautomaten langsam in den Griff bekam. Ich war gespannt darauf, wer von uns dann in Zukunft für Beschleunigung zuständig wäre.

Am Ende des ersten Tages hatte ich mich von der 1:49 auf die 1:44 runtergearbeitet. Aber nur auf der Uhr. Meine letzten zwei Turns sahen nur die 1:46.
Frau Schaltmeisterin hatte sich verspekuliert. Und der V02 hatte eine amtliche Fräskante auf der rechten Seite. Man musste ihn jetzt drehen, sonst war er für die Tonne.

Alles in allem kein guter Tag. Nur die leichte Brise von Humor, die aus dem Zelt nebenan rüberwehte, machte es etwas leichter. Und der Irokesenmann hatte mir mittlerweile eine Ersatzperson für das Rennen vorgeschlagen. Nur, dass mir im Moment so gar nicht danach war. Wechselnde Partner hatte ich schon immer. Warum nicht mal wieder jemand anders? Der junge Mann hieß Micha, hatte eine Daytona und war kaum größer als ich. Noch dazu war er sackschnell.

Hatte der sich überhaupt Gedanken gemacht? Ich konnte kaum um die Ecken kommen, hoffte auf Besserung, aber würde ihm sicher die Wertung kaputtmachen. Immer wieder hieß es: "Ich will nur fahren." OK. Er wollte nur fahren. Ich behielt mir vor, nochmal zu überlegen und eventuell ein DNS daraus zu machen. Auch das schien OK.
:horseshit:

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Der Abend pfiff uns mit kaltem Wind um die Ohren, so dass ich den leicht verschnupften Nachbarn und mir lieber einen Kräutertee machte als ein Bier auf. Die Nacht war glücklicherweise, dank der Muskelabwärme, angenehm. Die gewichtigen Eltern lagen unten auf der Pritsche. Das bequeme Bett war den Leichtgewichten vorbehalten. Es war nichts repariert. Wie auch. Wir hatten anderes zu tun. Nachdem ich den Henning aus Box 5 eingesammelt hatte, sputete sich der wieder, um eher die Pritsche zu belegen. Mein Schnellheitsschlaf war wieder mal in Gefahr. Also Pipi, Zähne, ab ins Bett.
Box 5. Eine Zauberkiste. Viele neue Leute, einer davon wollte mit mir Langstrecke fahren. Andere meldeten sich freiwillig, um zu helfen. Was konnte ich da noch gegen sagen.

Am nächsten Morgen zwängte sich die Sonne zwischen meinen Lidern durch. Wach wurde ich erst auf der Strecke. Das Geschalte in Kombination mit spätem Entschleunigen passte etwas besser. Es war ein Segen, dass wir kaum Leute auf der Strecke hatten. Ich nutzte jede Chance, die ich hatte, um zu üben. Die Zeiten purzelten. 1:44-1:43-1:42. Der leichte Trend nach Turn 2 reichte aus, um mich mit Micha zur Anmeldung für das Rennen zu bewegen. Aus der DNS-Option wurde eine feste Zusage. Wir meldeten uns als Team "Dauert zu lange".

Dann kam die Mittagspause. Und die Zeit der Entscheidung. Der Rat der Reifenexperten beschloss, den Reifen nicht zu drehen. Wenn ich das Rennen fahre, dann wäre eventuell nicht mehr genug übrig. Und ich hatte ja einen neuen. Ich wusste nicht, wie viele "Einrollreifen" ich noch zusammensammeln würde, aber dieser sollte einer davon werden. Ich dachte an Most Ende Juni. Und an die Frage, wie viele halb gefahrene Reifen ich noch so durch Europa juckeln wollte. Aber das war egal. Jetzt zählte die Performance.

Unser Henning wechselte flugs die Pelle, und ich konnte nach der Mittagspause den Turn nutzen, um den neuen Reifen an den Asphalt zu gewöhnen, dann das Gelbe Gerät vor Box 5 abzustellen, um mein Gedöns zu holen. Box 5, die Zauberkiste. Als mein Gedöns mit mir wieder da war, stand die R6 professionell eingepackt in Überziehdeckchen mit Reifenwärmern auf Ständern. Der Fahrlehrer hatte sich gekümmert. Alle hatten sich gekümmert. So viel Aufmerksamkeit konnte man nicht enttäuschen.

Ob die R6 es wohl schaffen würde, eine Stunde mit einer Tankfüllung durchzuhalten? Micha hatte die wahnwitzige Idee, während der zwei Stunden Rennen nur einen Boxenstopp einzulegen. Das könnte meine Übersekunden ausbügeln, durch die gespaarten Wechselminuten. Henning hatte zwar getankt, aber Micha linste in den Tank und holte seine Spritkanne. Und noch was. Und noch was. Und dann stand es fast bis obenhin. Mehr ging nicht.

Ich hatte eine Gurke getankt und knabberte Mandeln. Was in Bridgestone 100 gegen die Wolke geholfen hatte, konnte jetzt auch nicht schlecht sein. Wir waren startklar.

Micha startete. Ich konnte das nicht. Ich konnte fahren, starten musste jemand anders. Micha konnte das, aber eventuell die Daytona nicht. Mir alles recht. Mir war wichtig, dass wir alles geklärt hatten. Ich wusste, was ich machen sollte, falls ich noch nicht die vorgesehene Zeit durchhielt. Ich kannte unsere Prioritäten. Auf jeden Fall zuende fahren. Wechsel auf jeden Fall vermeiden.

Ich zog mich an. Ich kaute Mandeln. Ich trank Wasser. Ich zog mich aus. Ich brachte das Wasser wieder weg. Ich zog mich wieder an. 30 Minuten waren vorbei, und ich hatte noch Zeit. Hatte ich die wirklich? Was, wenn die Daytona ein Problem hatte und ich nicht fertig war? Eine Dreiviertelstunde war vergangen, und Micha drehte seine Runden flüssig defensiv. Ich stiefelte nochmal Wasser wegbringen.

50 Minuten. Jetzt wurde es langsam ernst. Ich traute mich nicht mehr zu trinken, damit mir während meines Stints nicht die Blase platzte. Noch 3 Mandeln runtergewaschen und den Helm auf die Rübe. Ich trat vor dem Moped auf und ab.
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von stscit04 »

Deine Geschichten verlinke ich bald mal in der Wikipedia unter "Cliffhanger"...
Wir wollen MEHR! GIB UNS MEHR!!! :)
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Beitrag von Rudi »

Ich kenn das Ergebnis schon von meinem Kumpel Micha , bin aber trotzdem neugierig. ;)
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14.-17.04 Rijeka mit Dreier
30.5-1.6. Pann mit Stardesign
8.-9.9. OSL mit CRMoto
6.-9.10. Rijeka mit Dreier

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Und dann ging alles ganz schnell. Ein Fuß ging raus. Eine Hand wedelte. Man sah in meine Richtung. Und ich fühlte mich plötzlich wie Dani Pedrosa, der auf das fertige Motorrad gehoben wurde. Box 5 zauberte mir das Moped unter den Hintern, zuppelte die Armbinde ab und schickte mich los.

60 in der Boxengasse, sonst Disqualifikation. Ich mühte mich, im zweiten Gang 4000 upm nicht zu überschreiten. Es war ungemein hilfreich, den Tachozuzukleben. Jetzt war es ungemein doof. Mööööööööööööööööh. Klack und Klapp. Das Einfädeln war nicht schwierig. Lasset die Spiele beginnen. Die nächste Stunde war meine. Als ich auf die Hasseröder zuschaltete, atmete ich nochmal tief durch. Eine Stunde. Bloß nicht das Pulver zu früh verschießen. Wir wussten alle, was passieren konnte, wenn die Kräfte nachließen.

Am Ausgang der Hasseröder lag ein weißes Motorrad mitten auf der Strecke. Das musste da ganz frisch hingepurzelt sein. Es passte glücklicherweise gut in meine Linie. Die Panels zeigten auch ziemlich zügig an, dass ein Safety Car die Führung übernehmen würde. Safety Car, was für ein Mist. Kalte Reifen und Auffahrunfälle.

Daran, was in Box 5 los sein könnte, Safety Car direkt nach meiner Abfahrt, verschwendete ich keine Millisekunde an Gedanken. Vor mir waren zwei Fahrer, die alle beide strategisch unterwegs waren (wie ich). Auf der Geraden nicht so ganz schnell am Anfang, dafür am Ende ordentlich bremsen und um die Kurve. Fahrer 1 wackelte vor jeder Kurve mit Extremitäten, um anzuzeigen, dass Gefahr drohte. Aber es war kein Safety Car in Sicht. Ich sah auf die Uhr und war froh, dass schon fast nur noch 50 Minuten zu fahren waren. Nochmal umschifften wir das Unfallmoped, dann irgendwann konnte ich die Ziehharmonika sehen. Eine halbe Runde mussten wir hinterher. Dann bog das Auto ab, und es passierte, was passieren musste.

Es knüllte sich und staubte in verschiedenen Ecken.

Wir, die Spätsafetycargebremsten schauten uns das Spektakel von hinten an. "If you want to finish first, first you have to finish", dachte ich mir und nahm Tempo auf. Nach zwei Runden hatte sich der Stau aufgelöst und die Strecker war frei.

Reinstellen musste ich überhaupt gar nichts. Dies war Langstrecke, zum Spaß, nicht mit Meisterschaft. Alle Langsameren überholte ich nur an netten Stellen. Wer wusste schon, wie gut die mit Langstreckenbelastung umgehen konnten? Ich selbst ließ mich überall überholen, egal ob Eingang der Triple, vor /in der Schikane oder im S. Ich war quasi Expertin im Überholtwerden. Darin hatte ich mittlerweile jahrzehntelange Erfahrung.

Oschersleben. Langstrecke. Andrea fährt.

Nach 30 Minuten krochen Seitengedanken in meinen Kopf. Würden meine Kräfte reichen, bestand das Risiko, dass ich etwas falsch einschätzte und es übel enden würde? Während ich immer wieder das Gerät unter mir von rechts nach links wuchtete, um dabei auf ein Werbeplakat zu schauen, stellten sich immer mehr Zweifel ein. Eine Stunde war eine lange Zeit, aber Aufgeben kam nicht in Frage. Runde um Runde hörte ich den angestrengten Atem in meinem Helm. Dazwischen ein Paar Motorengeräusche. Diesmal eines, was lange dranblieb. Ich entschloss mich, die letzte Kurve nicht ganz auszufahren und dem Kollegen Platz zu machen. Aus Sicherheitsgründen. Verzweiflungsüberholvorgänge endeten meistens in Aua und das wollte ich nicht.

Die Uhr zählte weiter runter. Noch 20 Minuten zu fahren. Ich war froh über die Gurke und die Mandeln und hoffte, dass ich nicht allzu langsam unterwegs war. Bevor ich losgefahren war, hatte ich gehört "Platz 5 in der Gesamtwertung" (oder so). Aufgrund der Annahme, dass vorne alles nur 1000er waren, entstand ein gewisser Druck, die Position zu halten.

Nach 50 Minuten meldete mein Hallux Valgus geplagter rechter Fuß, dass irgendwie ein Messer zwischen die Zehen geraten war, was nicht mehr rausging. Das rechte Knie war matschig und das Umlegen wurde immer mehr zu einem Gewürge. Egal. Jetzt noch ein Wechsel würde alles vernichten, was Micha rausgefahren hatte.

Bei Minute 3 merkte ich, dass die Tankleuchte Spritmangel meldete. Hatte ich sie jetzt zum ersten Mal wahrgenommen oder war sie eben gerade angegangen?!? Ich traute meinen Sinnen nicht mehr viel zu und beschloss, die letzten Runden nicht mehr viel aufzuziehen, sondern im Rollmodus rund zu fahren. Ich hatte ein gut sichtbares Gerät und die anderen nähmen vielleicht gar nicht wahr, dass ich eigentlich schneller fahren sollte. Spritmangel sollte uns jetzt nicht mehr die Suppe versalzen. Was wäre bloß gewesen, wenn der Micha den Tank nicht so vollgestopft hätte...

Die Strategie ging auf. Ich fuhr unter einem hell leuchtenden karierten Panel entlang. Am Anfang der Boxengasse stand Jaro, um Leute abzuklatschen. Bis ich verstanden hatte, was er wollte, hatte ich das Ding schon angehalten und stand doof da.

Ich war fertig.

Ich war fast 50 Jahre alt, hatte am Körper einige Schwerkraftschäden und bestimmt keine Fitnessfigur, konnte schon im Wartezimmer Wehwehchentalk mitmachen, mein rechtes Bein war durch und der Fuß tat so, als ob jemand einen Zeh abschneiden wollte.

Ich war fertig.

Aber ich war gefahren. Eine Stunde am Stück.
:horseshit:

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Beitrag von StefanH »

:icon_thumleft echt klasse Leistung!!! :icon_thumright

Aber in deinem Alter darfst du noch nicht so rumjammern ;)
Grüße aus der Oberpfalz
moosi
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