Zum Inhalt

Hockenheim by Bus

Hier könnt Ihr posten was nicht mit dem Thema Racing zusammenhängt
Jokes, jeglicher Dummfug oder einfach nur um zu quatschen :-)

Moderatoren: as, Chris

  • Benutzeravatar
  • pofpof Offline
  • Beiträge: 866
  • Registriert: Dienstag 20. Juni 2006, 14:25
  • Wohnort: Ruhrpott
  • Kontaktdaten:

Hockenheim by Bus

Kontaktdaten:

Beitrag von pofpof »

Weil die IDM ja quasi gerade erst begonnen hat und ich ein wenig
in meinem Archiv geblättert habe, dachte ich mir, dass diese nun
folgende kurze Schilderung vom Saisonbeginn 2006 einen winzig
kleinen Einblick in so ein Renn-Wochenende aus der Sicht eines einsamen
Berichterstatters aussieht.

Kleine Kurzweil zum Einläuten des bevorstehenden langen Wochenendes.

Hockenheim By Bus
Der Movano-Diesel dröhnt gleichmäßig vor sich hin. Links von mir frisst der Kotflügel scheinbar die Fahrbahnmarkierungen im immer gleichen Rhythmus. Aus den schwachen Lautsprechern scheppert das letzte Mark Knopfler Album und versucht sich gegen das Gebrumm des Motors zu behaupten.

Mein erster Einsatz als Pressemann für das Team Yamaha Sebring Austria. Rund 320 Kilometer bis zum Hockenheimring in Baden-Württembergs Norden. Immerhin gutes Wetter, die Vorhersage dagegen hatte „Land unter“ versprochen.

Ein Stück weit hinter Köln wirft jemand sein Benz-500-plus-Riesenwohnwagen-Gespann ein und schafft auf diese Weise ein sich quer über alle Fahrspuren ziehendes pittoreskes, geometrisches Gebilde, wir anderen kommen über die freie Standspur an den Trümmern vorbei. Niemand verletzt. Nur Flurschaden. Hinter mir füllt sich die Autobahn in Nullkommanix mit allen Zutaten für einen richtig leckeren Stau. „Glück gehabt!“ denke ich, und greife den Schalthebel für den nächsten Gangwechsel. Am Stock das große Nirwana. Sprit umrühren scheint das einzige, was mit dem Hebel noch möglich ist. Warnblinker abgefeuert, rechts ran, all systems shut down.

Na toll. Und mit dem fetten Stau im Kreuz wirds bis zum Eintreffen der Kavallerie noch eine Weile dauern.

Rund zwei Stunden später. Der ADAC repariert den Schaltzug provisorisch. Wenigstens komme ich noch am Samstag zur Rennstrecke.

Zuerst schaue ich mir die verschiedenen Aushänge am Mediacenter an. Quali-Zeiten und so weiter.

Die Starterlisten weisen den Österreicher Pölzleitner wie schon im letzten Jahr als privaten Ducati-Superbike-Piloten aus. In der Box hat er aber eine Yamaha R1 geparkt. Doch auch mit der Fahrhilfe aus Japan schafft er es nicht in die Punkte.
Dafür hat er das größte und luxuriöseste Wohnmobil im Fahrerlager.
Ich schlüpfe durch die Tür und marschiere nach oben, um auf der Akkreditierungsliste zu unterschreiben.

Reger Betrieb im Media-Center. Kurzes shake hands mit Andreas, einem prima Kollegen aus Auerbach. Dann in die blau-gelbe Box zur TYSA-Truppe. Dort herrscht noch gespannte Aufmerksamkeit, es geht wie meist um Rundenzeiten, Settings und die Konkurrenz. Das Data Recording hilft ’ne Menge. Und das Lap Top scheint für dieses Wochenende an „Data Tom“ Lischitzkis Händen festgewachsen zu sein.

Die Jungs stecken die Köpfe zusammen. Hier wird was ausgetüftelt, das ist unschwer zu übersehen. Mehr Traktion würde helfen. Das filtere ich jedenfalls aus den Gesprächsfetzen, die von heiser röhrenden Gasstößen aus den Boxen nebenan immer wieder überlagert werden. Man scheint nicht ganz zufrieden. Aber so richtig unzufrieden auch nicht.

Timo, der „Neue“ im Team und als Rookie in der IDM Supersport im Einsatz, hat einen formatfüllenden Kleber an der Cockpit-Scheibe seiner YZF R6 Yamaha: „Start üben!“

Ob ich im Movano penne, will man wissen. Weil es im Fahrerlager erfahrungsgemäß bis weit nach Mitternacht nicht gerade ruhig ist, habe ich mir eine Schlafstatt in Hockenheim besorgt. Doch als ich dort eintreffe muss ich feststellen, dass das Hockenheimer Stadtfest (wieso hat mich niemand gewarnt?!) auch eine im Magen durchaus spürbare Wand aus hämmernder Cover-Rock-Musik zustande bringt. Ich stelle den Fernseher im Zimmer lauter.

Anderntags in der Startaufstellung neben der „76“. Kameras klicken, Schirmmädchen glänzen. Aufruhr im Grid. Ein Gaststarter-Team aus den Niederlanden hat eine Schirm-Maid am Start, deren gewaltige und weithin sichtbare erwachsene weibliche Attribute, in ein viel zu enges Top gepresst, die Fotografen anziehen wie das neonfarbene Tieschört die Gewitterfliegen bei der Gartenparty.

Es ist trocken, aber ein paar dunkle Wolken drohen mit Inkontinenz. Der Teamchef auf seiner R1 SP macht den typischen Eindruck eines Fahrers unmittelbar vor dem Start: mentale Abwesenheit, im Kopf schon mitten im Infight mit der Strecke und dem eigenen Arbeitsgerät. Wenn sich dann noch die Konkurrenz als Zutat mit einmengt passiert das, worauf alle warten, weshalb alle hierher gekommen sind: Atemlose Spannung.

Mein Bauchgefühl signalisiert mir eine aufziehende Mathe-Arbeit der Kategorie „Megagroßes Kino“. Und ich bin nicht vorbereitet. Wieso bin ich eigentlich so nervös? Ich muss doch nicht fahren... nur darüber berichten. Aber ich kann nichts dagegen machen. Jedes Mal, wenn einer „meiner“ Jungs im Tiefflug die Auseinandersetzung mit den Konkurrenten sucht, habe ich einen Puls von gefühlten 1957 Schlägen pro Minute. Nach außen hin lasse ich mir nichts anmerken.

Platz sechs im ersten Heat, Platz acht im zwoten. Da Teamchef ist zufrieden. „Das war das maximal machbare. Bisschen mehr Traktion, im zwoten an besseren Start, wär ma noch ein Stückchen mehr vor gekommen.“

Die Reifen der schwarz-gelben Englisch/Japanischen Konkurrenz waren bei dem heißen Asphalt heute einfach nicht zu schlagen. Sonst ist das TYSA Superbike gut mit dabei. In der IDM Supersport verbaselt Timo seinen Start trotz Erinnerungs-Kleber und verliert einige Plätze. Doch der 19-Jährige kämpft und versucht den verlorenen Boden während des Rennens wieder gut zu machen. Am Ende muss die finale Offensive abgeblasen werden, den auch die TYSA R6 wird von Traktionsproblemen eingebremst. Die schwarz-weiß Karierte fällt, Timo ist 15ter im Rennen. Punkte gibt’s aber für Platz zehn, denn Gaststarter gehen in der IDM leer aus.

Gegen 19.30 bin ich im Media-Center fertig. Bericht getippt, Fotos besorgt, Pressemitteilung rausgehauen. Kopfschmerzen. Viel zu wenig gegessen über den Tag. Einfach keine Zeit gehabt. Zaghafte Versuche, die müden Knochen zum Aufstehen zu bewegen. Schließlich klappts, und ich schleiche zurück zum Movano, der auf dem Parkplatz am Ende des Fahrerlagers vor sich hin döst. Ende des zweiten Halbmarathons in zwei Tagen. Nächstes Mal habe ich ein Fahrrad dabei, versprochen! Mit dem defekten Schaltzug habe ich meine liebe Mühe auf dem Weg zurück und benutze nur noch die Gänge zwo und vier. Endlich die Autobahn-Auffahrt. Ich befehle dem Getriebe: „Gang Fünf“, was sogar halbwegs ohne großes Gefummel klappt. Der Autopilot klinkt sich ein und arretiert meinen rechten Fuß in der Vollgas-Position. Dann geht’s zurück ins Ruhrgebiet.

Glück auf!
Pofpof
Man soll keine Dummheit zweimal begehen - die Auswahl ist schließlich groß genug!