Nach Ende aller Rennen standen die Siegerehrungen auf dem Programm. Ich hatte mir was unvorteilhaftes angezogen, um unter den ganzen Hackfressen nicht aufzufallen. Robert rief mit seiner mobilen Sprechfunkanlage schließlich die 1000er Klasse zu sich und wir trabten zur Koreakelchvergabe. Während der Übergabe riss sich KleinLina bei Imke los und düste mit kleinen Schritten direkt auf ihren Papa zu. Die Pokale waren einfach zu verlockend. Frei nach dem Harald Schmidt Prinzip „ Das kleine Runde muss in das große Eckige“ versuchte Lina, die Deckel meiner Pokale auf den jeweils anderen zu legen. Klappte natürlich nicht wirklich. So jounglierte ich Lina, die beiden Pokale und die Deckel munter auf meinen Armen. Der Applaus bei jeder Pokalübergabe ließ sie innehalten und ebenfalls klatschen. Da sie dabei jedes Mal ihre Pokale vergaß, hatte ich einige Schwierigkeiten, weder Pokale noch Lina fallen zu lassen. Nachdem auch der letzte Pokal übergeben war, freute ich mich ein wenig. Leider hatte ich nicht an Roberts obligatorische Aufforderung zum großen Schlussapplaus gedacht. Auf dem Rückweg zur Mama ging das Puzzle nicht mehr auf und ich outete mich als ein Joungleurdepp. Ein Deckel kullerte geräuschvoll über den Boden. Die Prinzessin schien mir diesen Fauxpas nochmal zu verzeihen, Glück gehabt

Der restliche Samstagabend verging wie im Flug. Es war der letzte Rennabend der Saison, morgen war nur noch das Just4Fun 4h Rennen angesetzt und ich trieb mich entsprechend lange in den Boxen herum. Irgendwann um 2 Uhr herum verabschiedete ich mich schließlich von Rentner und den anderen, bei denen ich im Zelt gesessen war. Es war ein rundum genialer Abschluß einer schönen Saison. So kuschelte ich mich unter meine Decke und schlief glücklich und zufrieden ein.
Am nächsten Morgen bereitete ich alles für das abschließende 4h Rennen vor. Nachdem Heini letztes Jahr als Startfahrer mit seiner 600er gnadenlos im Verkehr hängen blieb, war klar, dass ich starten würde. Leider war das Wetter nur suboptimal. Lange vor dem Starttermin des 4h Rennens zogen Wolken auf und es begann albern zu nieseln. Überall sah man Erdlinge, die ihre 45 Sachen packten. Die Lust auf das 4h Rennen verflog auch bei mir. Die Luft war irgendwie raus. Nach kurzer Rücksprache mit Heini war klar, dass er auf jeden Fall fahren wollte. Nun hing es also an mir, zu entscheiden, ob dass glorreiche speed4fun Team an den Start geht. Ich dachte an meine gut abgehangenen Regenreifen aus dem Jahre 2002. Mit ihnen hatte ich in meiner allerersten Rennsaison bei Prospeed im allerersten Rennen im verstrahlten Most einen historischen 7. Platz eingefahren. Böse Zungen behaupteten, dass es der vorletzte Platz war und hinter mir nur noch eine SC50 mit üblen Zündausetzern durchs Ziel tuckerte, aber das ist natürlich gelogen. Seit dieser Zeit habe ich die Reifen ähnlich wie Linie Aquavit behandelt. Beständige Fahrten durch halb Europa garantierten, dass sie ihre volle Güte erreichten. Vorsichtiges Wenden und Umlagern während dieser Zeit ließ das Buket der Pellen weiter heranreifen. Es waren mittlerweile drei Jahre in den Aufzündalmanach geschrieben worden und es schien an der Zeit, die Geschichte der Reifen hier enden zu lassen. Somit war es beschlossen, ich würde starten!
Gemischte Gefühle begleiteten mich zum Reifendienst. Ich hörte diverse Stimmen, die mir davon abrieten, wg so einem Funrennen nach Abschluß der eigentlichen Saison überhaupt zu starten. Es wäre schon ziemlich albern, in diesem Rennen noch für zerschraddeltes Material zu sorgen. Da wir aber nicht nach Brünn gefahren waren, um Honigmelonen zu schälen, ließ ich die Regenpellen montieren. Harvey montierte die Felgen und ich harrte der Dinge, die da kommen. Schließlich war es soweit und ich schwang mich auf meinen Boliden, bereit für den letzten Kampf. Am Vorstart trudelten ca. 20 Teams ein. Es hatte aufgehört zu regnen, die Strecke war schon fleißig am Abtrocknen. Ideale Bedingungen für uncoole Ausrutscher. Nicht Fisch, nicht Fleisch, bescheidener gings nicht. Ralf Pietsch quälte sich noch flugs aus seiner Regenkombi, ich behielt meine an, war damit aber soweit ich es erkennen konnte, als einziger Regenkombimann in der Startaufstellung. In den beiden Aufwärmrunden beschloß ich, ebenfalls die Scheidung von der Regenkombi einzureichen. Harvey stand am Start, um mein Mopped zu halten, ich streifte mir ziemlich ungelenk und hektisch die Kombi ab. Nur nicht nervös werden. Schließlich war die Trennung vollzogen und ich nahm Platz auf meinem gelben Hasen. Robert wedelte die Fahne und los ging die wilde Fahrt.
Eigentlich fühle ich mich immer als totale Regenschwuchtel, aber nach den ersten Runden stellte ich fest, dass die meißten anderen quasi als Mutter der Schwuchteln zu bezeichnen waren, hehehöhö. Ich verfolgte ohne Mühe Mark Weihe und einen unbekannten K5 Treiber. Davor war nur noch, wie sollte es anders sein, Mike Denz. Die Straßenverhältnisse waren ein Farce. Die Ideallinie war fast komplett feucht, hier und da kleine Fützen oder auch trockene Stellen. Perfektes Abflugwetter. Ich hörte ganz tief in meinen vorderen Pneu, um etwaige Rutschgrenzen zu ertasten. Ich war aber ziemlich gehörlos. Keinerlei Rutschsignale zu vernehmen. Hinten war es schon einfacher. Etwas mehr Gas und schon kam man quer aus der Kurve. Nach anfänglichen Adrenalinkicks entwickelte sich ein zartes Grinsen unter meinem Helm und ich kam mehr oder weniger aus jeder Kurve leicht quer raus. Schöne Sache das. Auf dem Kreuzzug für ewige Glückseligkeit bremste ich Mark und den K5 Fahrer genussvoll aus und begab mich auf die Verfolgung des Führenden. Ich perfektionierte die Drifts und kam tatsächlich näher ran. Meine Gefühllosigkeit für das Vorderrad sorgte zwar für diverse Panikanfälle, aber das schwarze Gummi ließ mich nicht im Stich. Nach ca. 7-8 Runden veränderte sich der Abstand zu Denz nicht mehr. Ich hatte immer heftigere Rutscher, die Ideallinie war quasi trocken und jeder drittklassige Staatsanwalt hätte mich mittlerweile des vorsätzlichen Mordes angeklagt. Mord an unschuldigen Regenreifen! Wider besseren Wissens steuerte ich nicht wie viele andere um mich herum die Boxengasse an, sondern zerrieb die Regenpellen weiterhin auf dem trockenen Asphalt. Meine Überlegung war einfach, dass der Wechsel mehr Zeit kosten würde als diverse Runden mit zerfetzenden Regenreifen. Somit versuchte ich, eine etwas schonendere Fahrweise an den Tag zu legen. Denz entschwand nach vorn, Weihe und die K5 kamen wieder vorbei. Mit Regenreifen auf trockener Piste zu fahren ist ähnlich wie ein Lauf über halb leergetrunkene Weinverschnitt-Tetrapacks. Beim Anbremsen scheint sich das ganze Mopped zu verwinden, einen Einlenkpunkt zu treffen ist reine Glückssache. Beim Rausbeschleunigen scheint man sich auf einer Schotterpiste zu befinden. Aber da Erdlinge Gewohnheitstiere sind, gewöhnte ich mich auch daran. Einige Runden später kam Herr Weihe erneut vorbei. Er musste auf Trockenreifen umgerüstet haben. Direkt vor mir liegend riss ihm die Kette, ich machte einen Schlenker und sah ihn am Berg ausrollen. Das würde ihn zurückwerfen. Trotzdem war die Zeit der Regenreifen nun endgültig vorbei. Ich hob den Arm und signalisierte, dass Heini gleich dran ist. Wir hatten vor der Box von Snoopy, Verzollnix und Konsorten unseren Wechselplatz eingerichtet. Flinke Hände steckten die entzückende rosafarbene Armbinde, die ich extra aufgrund ihrer Farbe ausgewählt hatte, auf den Arm von Heini und er entschwand sogleich aus der Boxengasse.
Hinter mir machte sich lautes Gelächter breit. Obwohl klar war, dass man bei meinem Anblick durchaus in Gelächter verfallen kann, fragte ich mich doch nach dem Grund dieser Gefühlsausbrüche. Die Leute zeigten mit dem Finger auf mich. Bei genauerer Bertrachtung stellte ich fest, das sie wohl eher auf das Hinterteil meines Moppeds zeigten. Ich riskierte einen Blick und war perplex. Irgendein Pillemann hatte während der Fahrt meinen Regenreifen gegen einen Slick ausgetauscht. Die rechte Seite war komplett abgefahren, nur ganz links außen war noch zu erkennen, dass es sich wohl mal um einen profilierten Pneu gehandelt haben musste. Ich baute mich zu meiner vollen Größe von 192cm auf und verkündete, dass dieser Reifen fortan und für alle Zeit einen Ehrenplatz in meiner Garage erhalten solle. Mein Plan, ihn nach dem Rennen vom Reifenfriedhof zu holen, sollte allerdings vereitelt werden.
Ich rollte zurück in unsere eigentliche Homebase und bat Harvey um eine große Inspektion. Er wechselte die Reifen, schaute nach dem Öl und kontrollierte den Boliden auf etwaige Flüssigkeitsverluste. Abschließend tankten wir voll und ich chillte (engl.: entspannen) ein wenig im Liegestuhl. Noch ein Turn und die Saison 2005 wäre definitiv zu Ende. Die Strecke war trocken, Team Weihe/Baier lag durch den Kettenriss hinter uns, Heini fuhr auf einem halbwegs sicheren zweiten Platz, ein Podiumsplatz war quasi in trockenen Tüchern und ich dachte schon an die Rückfahrt. Schließlich riss mich Steffi über unser Team-Walkie-Talkie aus den Gedanken. Heini hatte das Zeichen gegeben. Ich schlüpfte in volle Aufzündmontur und sattelte die Kleine. Vor der Box angekommen, wartete ich mit vorgeheizten Reifen auf Heini. Er ließ sich etwas Zeit, kam aber schließlich angedüst. Verzollnix steckte die schwule Binde um und ich schoß zum Boxenausgang. An mir flog Roland Baier vorbei. (dachte ich zumindest fest in diesem Moment) Er hatte die VorjahresK3 von Mark Weihe gekauft und eben diese K3 schoß an mir vorbei. Ich wusste, dass ich die Pace von Roland gehen könnte und legte mir den ältesten aller meiner Schlachtpläne zurecht: „Wo der durchkommt, kommst du auch durch!“. Nach diesem Prinzip habe ich schon in meiner Frühzeit manchen „Lokalmatador“ im Harz ärgern können. Trotz völliger Streckenunkenntnis einfach das Gas da stehen lassen, wo der Führende auch stehen lässt. Ein ziemlich gewagtes Spiel, aber ich war jung und suchte den Spaß. Über blinde Ecken oder Dreck auf der Straße machte ich mir keine Gedanken. Erst abends im Bett kamen die Zweifel über mein Treiben, was letzlich auch der Grund war, mir „sichere“ Rennstrecken als Spielwiese zu suchen. Naja, jedenfalls ging es hier nicht um Russisch Roulette, sondern um den Plan, mir von Roland die Linie zeigen zu lassen. Evtl waren ja noch irgendwo feuchte Stellen, vor denen er ein wenig das Gas lupfte. Ich fand den Plan einfach und genial. Im Nachhinein ist nicht mehr sicher, ob überhaupt Roland oder Mark auf der K3 saß. Da die CBR ja mit Kettenschaden ausgefallen war, teilten sich die beiden die K3. Letzlich aber egal, ich gaste jedenfalls mächtig an, um hinter der K3 hinterher zu kommen. Ich dachte noch „Boah, der lässt es aber richtig krachen, man hinterher“ und zog brutal am Kabel. Leider schien in diesem Augenblick eine Filmrolle des Lebens zu Ende zu sein. In meiner Erinnerung taucht noch ein Bild auf, in dem ich mein Mopped von oben betrachte und es quer zur Fahrbahn schleudert. Ich dachte an Hubert Kah und sah den Sternenhimmel. Danach war die Filmrolle endgültig durchgelaufen und schlackerte auf der Gegenspule laut hin und her. Der große Filmvorführer beeilte sich, die Anschlussrolle zu finden, aber er brauchte etwas länger, bis er sie endlich einlegte. Die Besucher hatten sich derweil von ihren Stühlen erhoben und liefen zum Hauptdarsteller des Films. Der öffnete endlich wieder seine Augen und sah zunächst nur blauweißen Himmel...