Wir waren die einzigen Gäste, die noch zum Frühstücken übriggeblieben waren. Alle übrigen hatten gegen acht den Parkplatz geräumt. Bevor die ungnädige Sonne wieder hervorkam, goss der Hotelchef Bergenien, von denen nicht mehr virl übrig war. Wir scherzten, Kakteen wären vielleicht die bessere Wahl. Mit Sorge dachte ich an meinen kleinen Hausgarten, die Nachbarin, die für ihre Dienste immer zu wenig für sich erntete, und Monstergurken. Es war ein Traumsommer. Für die Agrarwirtschaft in Südeuropa eher ein Albtraumsommer. Die Chlorfahne aus dem Pool waberte uns um die Beine, während wir alles (auch die Videomaschinerie für die hintere Sitzreihe) verstauten. Ich versuchte, die Spuren des Ginsterbusches zu ignorieren und nahm auf dem Fahrersitz platz.
Auf vielleicht ein Wiedersehen, Mugello. Falls nochmal jemand herfahren würde, konnte ich ja zum Essen mitkommen. Das lohnte sich immer.
Bergauf, bergab, Bologna. Es lief gut. Bis kurz vor dem Brennerabzweig bei Verona. An der Tankstelle davor begann es, sich zu knüllen. Minuten später ging nichts mehr. Mann wies mich an, die Spur zu wechseln. Angesichts der italienischen Wuselei, die sich im linken Außenspiegel mit Lastgeschossen abwechselte, war Abwarten die bessere Wahl. Und dann das: Blaulicht über die Standspur (das hatten wir gelernt - Italien nix Rettungsgasse), ein Feuerwehrfahrzeug, Ambulanz und kurze Zeit später "Bobb bobb bobb bobb bobb" von oben. Der Heli kreiste und fand, wie es aussah, keinen Landeplatz auf der Raststätte. "Besser dahinter als mittendrin", dachte ich mir und folgte geduldig dem Verkehr, der sich kreativ in neue Spuren sortierte. Jeder fuhr irgendwie irgendwo. Und dazwischen wir. Ein Flashback nach Rimini, Mai 2023. Italiener konnten Chaos. Leider konnten sie auch wie blöd irgendwo draufzuheizen, um dann voll in die Eisen zu gehen. Sicherheitsabstände waren offensichtlich was für Nordeuropäer.
Auf der rechten Spur stand ein völlig zusammengeschobener silberner BMW-Kleinerwagen. Wie immer schaute ich explizit nicht hin, konnte aber hören, dass der Fahrer offensichtlich noch hinter dem Lenkrad klemmte. Mit flauem Bauch und aufgestellten Nackenhaaren wünschte ich alles Gute. Bis zum Gardasee ging es dann wie erwartet weiter und mal wieder an der riesigen Schraube (beim nächsten Mal machen wir ein Foto, bestimmt!) und an Pappeln in Reih und Glied vorbei. Wer braucht so viele Pappeln, dass man davon Plantagen braucht? Bauen die damit Geigen?!?
Mit Touristen-Stopp-and-Go schafften wir es dann auch über den Brenner. Leider hatten wir durch die Verkehrslage etwa 2 Stunden verloren. Heute Abend gab es wohl kein odentliches Essen. Und obwohl sie sich Mühe gab, die oberpfälzische Landschaft zu bewundern, Mutti war müde. Also durfte sich die letzten Kilometer der Henning über die Navigationskapazitäten vom Besten oder Nichts erfreuen.
Bevor es völlig dunkel war, stand der Deseo auf einem Schotterplatz vorm Landhotel Aschenbrenner. Eine Empfehlung von Herrn S.H. aus A., die konnte ja nicht schlecht sein. Teil 1 der Rundreise war vorbei. Jetzt war Urlaub mit Luftmuseum, Shopping und zwei Tagen Low-Budget-Freibad angesagt. Eine Fledermaushöhle gab es noch obendrauf, schließlich muss man ja auch mal was erleben. Das Schwimmen tat recht gut, allerdings merkte ich noch am dritten Tag nach Mugello noch den Rücken. Dieser 200er hatte mich fertiggemacht. Vielleicht müsste ich mich weiterhin fertigmachen lassen, auch in Most sollte es heiß werden - und vielleicht bekam ich den V02 nicht in den Griff und müsste wieder 200er fahren, die unser Henning extra in der Gegend aufgetrieben und abgeholt hatte. Mit Grauen dachte ich an die engen Ecken von Most und fragte mich, ob ich noch so viel Kraft hatte. Die Muskeln wollten und wollten nicht regenerieren.
Am Sonntag, nach einem ausgedehnten Frühstück, ging es weiter nach Most. Wir pokerten mit der Anreise. Nicht selten hatten wir Anreisende gesehen, die vor dem großen Ansturm einfach reinfahren durften. Wir hatten ja Kinder, da müsste doch was gehen. Irgend eine Tränendrüse konnte man bestimmt drücken. Stundenlang unten auf dem Schotterplatz zu warten, war nicht das, was wir den lieben Kleinen zumuten wollten. Und wenn doch, dann könnten wir eventuell diesen Badesee ausprobieren, zu dem schon so viele aus dem Fahrerlager gegangen waren.
Niemand musste baden. Wir durften rein. Ich parkte erst einmal alles, um zu prüfen, wer noch blieb und wer wann abreisen wollte. Des Irokesenmannes ganze "i"-Mannschaft wollte anrücken, der Münzi, der Tobi, der Vusi, und dem Münzi sein Junior...die wollten einen Zaun (besser war das), wir wollten ein Klo (besser war auch das). Und als ich den perfekten Platz gefunden hatte, musste ich nur noch mit dem Henning diskutieren, warum der Platz gut war, und wieso man da jetzt einparken sollte. Und vor allem wie und wo und dass da schon genug Platz war, weil die anderen ja abreisten.
Während wir langsam Krams ausluden, fuhren die Masters of German Moto noch um die Wette. Von den beiden Kollegen neben uns hatte sogar einer ein Halstuch. Wahrscheinlich war das nass, sonst konnte ich mir das nicht erklären, schließlich waren schon wieder 30°C im Schatten. Und während ich so auf das Halstuch stierte, fiel mir auf, dass der Helm nicht zugemacht war. Nervosität vorm Rennen, kann ja mal passieren. Er war sogar überrascht, als ich ihn anhielt. Festmachen wollte er dann selbst, ich stand aber noch brav daneben, um Handschuhe oder sonstwas aufzuheben, was möglicherweise runterfiel. Das Rennen wurde schnell wieder abgebrochen, und die Nachbarn räumten zusammen. Das Fahrerlager leerte sich nach und nach.
Und niemand kam rein. Nur der Vusi, der hatte ein Fahrrad. Auf einmal lachte er mich an und bedeutete, wir mögen jetzt auf die Burg.
Die Burg. Seit ich zum ersten mal in Most gewesen war, ging es nicht mehr weg, dieses "irgendwann müssen wir auch mal auf die Burg". Ich sah den Vusi an. Ich sah sein Fahrrad an, mein Fahrrad. Ich sah meine Tochter an: "darf ich mir deinen Helm ausleihen" Minuten später hatte ich einen in Bronze-Metallic glänzenden Helm auf der Rübe und schnaufte den Berg hoch. Nicht, dass mein rechtes Bein nicht mehr morsch gewesen wäre, neeeeeiiiiiin, ich hatte eine Mission! Wer sagt, er muss irgendwann mal auf die Burg, muss auf die Burg!
Und außerdem gab es auch eine kleine Nostalgiebewältigungsaktion. Während ich schnaufte, und immer kleinere Gänge suchte, hatte ich vergessen, dass ich auf dem Zweitfahrrad saß, das schon seit Jahren niemand mehr eingestellt hatte. "Klack, krrrrrk", nichts ging mehr. Während ich noch nach Erklärungen suchte, machte sich der Vusi daran, die Kette aus wieder dem Kurbelgehäuse zu entfernen. Oben war die Burg, unten war die Schmach. Ich musste da rauf. Aber besser wäre es doch, wenn ich zumindest zwischendurch mal auf dem Fahrrad sitzen konnte, vor allem bergab. Glücklicherweise war nichts gerissen, so dass ich weiter treten konnte - bis ich wieder absteigen musste und schob.
Schieben, die Pein für jeden Mountainbiker. Gefahren! Es wird gefahren!!! Offensichtlich war der Vusi kein Hardcoremountainbiker bzw. hatte längst erkannt, dass meine Möhre dazu nicht taugte. Dass ich dazu nicht taugte, erklärte ich während ich schnaufte und japste. Zwischen Herzrythmusstörungen und Luftnot war es schwer, noch eine Unterhaltung zu führen. Ich war für Spitzenlast nicht ausgelegt. Ich konnte Ausdauer. Das war schon immer so und wird sich nicht ändern. Vermutlich hatte ich auch noch irgend so einen Herzfehler, Also gab ich mir Mühe, tief durchzuatmen und fleißig Wasser zu trinken. Das letzte Stück durch den Wald klappte sogar relativ gut. Oben angekommen, konnten wir die herrliche Aussicht, die Wasser-Vernebelungsanlage und Aperol-Spritz genießen.
Während meine Haare langsam nicht mehr Schweißnass, sondern Nass-nass wurden, unterhielten wir uns über Rastlosigkeit, Entscheidungen, vor die man gestellt wird, und wie schwer es manchmal war, seinen Platz im Leben zu finden, ohne dabei ausgenutzt, süchtig oder irre zu werden.
Ich war endlich auf der Burg gewesen. Und das sogar mit dem Fahrrad. Ich hatte geschoben, aber ich war oben. Während ich die Straße runterrollte, ging Vusi offroad. Ich musste nicht allzulange warten, dann rollten wir den Rest zusammen.
Vielleicht hatte ich doch Freunde. Es fühlte sich fast so an.