Assen. Nein. Dann wäre ich aus Angst vor mir selbst nicht mehr fahrtüchtig.
Angekommen am Deseo war kaum Zeit, abzusteigen und die Reifen etwas einzupacken, dann sollte ich schon wieder losfahren. Das problematische "Was auch immer" hatte sich also gelöst, hoffte ich.
Da stand ich nun und fuhr fast eine ganze Runde zu meinem Startplatz. Und dann fuhr ich eine ganze Runde zu meinem Startplatz, mit dem festen Vorsatz, einfach nur loszufahren - egal, was um mich herum passieren würde.
Die Herrschaften fuhren rechts und links vorbei. Ich fuhr einfach nur los. Es war ein Sprintrennen, und hier waren die richtig billigen Plätze. Was gab es da zu verlieren außer Leib und Leben? Am Ende der Geraden knüllte es sich durch die Kurve. Durch die echte Hotelkurve fuhren wir in Dreierreihen. Ich sah, wie sich kurveninnere Vorderräder neben mir aufstellten und Fahrer Linien nicht halten konnten. "Ich hasse Sprintrennen", Ärger gemischt mit Sorge machte sich breit. Ich musste hier weg. Das war lebensgefährlich. Leider stand innen überall schon was. Aber diese Leute hatten keinerlei Berechtigung vor mir zu fahren. Das war klar: die gehörten da nicht hin.
Es dauerte, bis ich endlich direkt hinter Tilo gelandet war, der sich ebenso viel Mühe gab, das wegzusortieren, was weg musste. Leider erwischte ich ihn kurz vor der Hasseröder. Er war auf jemanden aufgelaufen, aber ich sah, dass die Linie passte und nahm den Schwung mit in die Kurve, um direkt hinter ihm am Ausgang durchzuschlüpfen.
"Tilooooo!" "Was machst du?" Schrie ich in meinen Helm und griff in die Bremse, um die R6 in eine andere Richtung zu wuchten. Anstelle flüsssig defensiv durchzuziehen, hatte sich der Irokesenmann dazu entschlossen, Kurs auf das Hinterrad des Vordermannes zu nehmen, um dann entschlossen abzubremsen. "Nicht abräumen, nicht abräumen, nicht abräumen, bitte, bitte." Eine Ewigkeit von Millisekunden schickte ich Stoßgebete an wen oder was auch immer und hoffte, dass es gut ging.
Es ging gut. Und wir waren beide vorbei. Und was nicht vor uns sein durfte, war endlich hinter uns.
Wie hatte der Irokesenmann geflucht, über Unterbrechungszeiten, über dysfunktionale Quickshifter und Getriebeinspektionen, die ja nun bald fällig werden würden. Er hatte tatsächlich in den letzten (gefühlten) Jahrzehnten Lupfen Stupsen an seiner PC40 nicht ein einziges Mal irgend etwas mit Zähnen oder Scheiben oder Pleueln genauer ansehen müssen.
Aber jetzt war aus dem zarten Gang Einlegen endlich ein resolutes Gang Befehlen geworden. Und er ging dabei richtig vorwärts. Die Zeiten, in denen ich ihn auf der Geraden freundlich winkend stehenlassen konnte, waren vorbei. Mein einziger Trost war, dass er vor den Kurven noch konventionell unterwegs war. Vor der Kurve. Ob das gut geht? Horrorszenarien bauten sich auf. Zerknüllte PC40 und geknautschte RJ27 trafen sich im Kiesbett, während ich mich darauf vorbereitete, mit Schimpf und Schande im Medical Center eingeliefert zu werden. Oder noch schlimmer: Der Hubschrauber würde nach Magdeburg fliegen, mit dem Irokesenmann drin.
Aber der war ja nicht doof. Der passte doch immer auf. Und der konnte auch Notmanöver.
Am Eingang der Triple stellte ich mich innen rein. "Hoffentlich ging das gut." Ich recke das rechte Bein gen Himmel, um - ja warum eigentlich? Nett grüßen? Präventiv um Verzeihung für Irresponsible Riding zu bitten?? Wow. So ähnlich muss es sein, wenn man jemanden aus dem Weg getreten hat. Bis zum Ende der Triple war das Grinsen wieder weg. Vor mir war das nächste Fahrzeug in Sicht, was keinerlei Berechtigung hatte, vor mir ins Ziel zu kommen.