Verschwörungstheoretische Erzählungen sind inhaltlich durch drei Hauptelemente
gekennzeichnet. Erstens gibt es in jeder Verschwörungserzählung
»eine mächtige, böse und geheime Gruppe« (Pipes 1998: S. 45), die mittels
einer Verschwörung nach Welthegemonie strebt. Zweitens kommen häufig
Leichtgläubige und Handlanger vor, welche – manchmal unwissentlich –
den Einfluss der Verschwörer vergrößern und die Verwirklichung ihrer Pläne
vorantreiben. Das dritte immer anzutreffende Kernelement ist der Widerstand
in Form einer kleinen Gruppe oder eines einzelnen Verschwörungstheoretikers.
Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass die identifizierten Schuldigen
sehr verschiedenartig sind und die Darstellung hier deshalb nicht alle vorkommenden
Fälle abdecken kann. Auch lassen sich keine eindeutigen und allgemeingültigen
Kriterien feststellen, warum Personen, Gruppen oder Organisationen
der Verschwörung beschuldigt werden. Es scheint, dass jede
Geheimhaltung und Undurchsichtigkeit, jede wahrgenommene Fremdheit
oder Geschichte realer Verschwörungen (wie für Geheimdienste nun mal
üblich) sowie jede unterstellte oder reale Macht die Entstehung von Verschwörungstheorien
fördern können.
Verschwörungstheorien beweisen damit einerseits inhaltliche Anpassungsfähigkeit,
denn je nach historischer Situation und aktuellen Umständen werden
gegenwärtige Ereignisse durch neue Verschwörer erklärt. »Der historische
Kontext […] spielt die entscheidende Rolle für Entstehung und Ausformulierung
von Verschwörungstheorien in ihrer jeweiligen Gestalt.« (Groh 1992: S. 271)
Ein Beispiel dafür ist das Aufkommen von UFOs und Außerirdischen als Teil
oder Gegenstand der Verschwörung – ein Topos, der erst mit der Raumfahrt
entstanden sein dürfte. Andererseits fällt auf, dass historische Themen und
Verschwörer in aktuellen Verschwörungstheorien häufig wieder vorkommen
(vgl. Pipes 1998: S. 73). So wurden Illuminaten und Freimaurer schon vor
über zwei Jahrhunderten als Verschwörer beschuldigt. Ebenso haben religiös
beeinflusste Konspirationstheorien (z.B. Anschuldigungen des Vatikans,
Theorien über Bündnisse verschiedener Gruppen mit dem Antichristen usw.)
die Jahrhunderte überdauert und spielen vor allem in fundamentalistischchristlichen
Milieus eine Rolle (vgl. Fenster 1999: S. 145ff.).
Aus dem umfangreichen und amorphen »Pool« der Verschwörer können
einige der am häufigsten Beschuldigten herausgestellt werden: Hauptsächlich
sind es Geheimgesellschaften, Juden, Geheimdienste, Regierungen und
nationale oder internationale Organisationen und Institutionen sowie Außerirdische,
die als Verschwörer angeführt werden. In konkreten Verschwörungstheorien
werden diese verschiedenen Verdächtigen oft vermengt und kombiniert.
Diesen heterogenen Verschwörern wird in Konspirationserzählungen gemeinhin
eine große Macht zugeschrieben, die verschiedene Grundlagen
haben kann: Geld, überlegene Technologie, Kontrolle über die Massenmedien,
manchmal sogar Magie. Weiterhin werden den Verschwörern grundsätzlich
die schlimmsten Absichten und der Einsatz ruchloser Mittel unterstellt, weshalb
sie ihre Pläne geheim halten. Die Verschwörer sind es, die in Wirklichkeit
»hinter« den Ereignissen stecken, so dass der Verschwörungstheoretiker überall
Hinweise auf verborgene Aktivitäten, Verbindungen und Bedeutungen vermutet:
»Verschwörungen überall: Nichts ist, wie es aussieht, und alles bedeutet
etwas anderes.« (Leggewie 1996: S. 116) Diese Sicht führt zu einer interpretativen
Praktik, die als Überinterpretation bezeichnet werden kann und
die weiter unten noch eingehender beleuchtet werden wird. [...]
Verschwörungstheoretiker porträtieren sich in ihren Theorien oft als Aufklärer
und Enthüller mit dem Anspruch, die Wahrheit zu verbreiten. So heißt es
etwa in einem Text:
»I will try to explain what is really happening, not the false data you get when you
follow the news on Television or in the papers. I will try to comment important
things we’re fed with and explain or debate them. All this based on the facts I’m
going to give you soon […] But to understand it all, you have to be briefed on
the scene of this planet, the version you were never meant to get – the truth certain
people don’t want you to know […]« (Quelle 1)
Manchmal wird diese Aufklärung explizit verbunden mit der Aufforderung,
den Verschwörern politisch Widerstand zu leisten. Implizit ist die Idee des
Widerstands immer vorhanden, denn durch den bloßen Akt der Wahrheitsoffenbarung
wird den Verschwörern der Schutz des Geheimnisses genommen
und die Unwissenden und Leichtgläubigen werden aufgerüttelt. Der aufklärerischen
Tätigkeit gehen meist eigene Lektüren und Nachforschungen voraus,
deren Resultate dann in Form von Texten weitergegeben werden. Diese
werden in selbstgemachten Magazinen, über das Internet, als Aufsätze, Artikel,
Bücher usw. verbreitet. Sie können auch die Form einer »wissenschaftlichen«
Arbeit annehmen, in der hauptsächlich andere konspirationistische Texte
penibel zitiert werden (vgl. Pipes 1998: S. 73; Groh 1992: S. 271). Dies
nennt Hofstadter etwas abwertend »höhere paranoide Gelehrsamkeit«
(Hofstadter 1996: S. 36) und charakterisiert selbige als logisch überkohärent.
Jedoch trifft dies auch auf Verschwörungstheorien allgemein zu – womit
weitere Merkmale des inhaltlichen (und z.T. formalen) Aufbaus angesprochen
sind. [...]
Wie oben erwähnt, geht der Konspirationstheoretiker davon aus, dass nichts
ist, wie es scheint. Überall sieht er Anzeichen einer tieferliegenden Wirklichkeit
der Konspiration am Werk und findet versteckte Zusammenhänge. So begreift
er die Welt als Zeichen, mehr noch: »Geschichte und Politik dienen als
Reservoirs von Zeichen, die nach (Über-) Interpretation verlangen und, für
den Interpretierenden, für viel mehr stehen als ihre konventionelle Bedeutung.
« (Fenster 1999: S. 78)16 Dabei nimmt der Konspirationstheoretiker
eine Interpretation der Geschichte und seiner gegenwärtigen Umgebung
vor, die von vorherrschenden und allgemein akzeptierten Interpretationen
und Interpretationsweisen abweicht, d.h. (aus Sicht letzterer) eine Überinterpretation.
17 Umgekehrt betrachtet, problematisieren Verschwörungstheorien
vorherrschende Interpretationen und lehnen sie ab.
Einige bei der Überinterpretation, der Auslegung und Verbindung der Zeichen
angewendete Grundannahmen führt Pipes (1998: S. 75ff.) an: Es wird angenommen,
dass erstens das Ziel der Verschwörer Macht ist, dass zweitens
diejenigen die Kontrolle haben, die aus einem Ereignis den größten Vorteil
ziehen und dass es drittens keine Zufälle oder Fehler gibt. Auf diese Weise
erklären Verschwörungstheorien alle möglichen unverbundenen und
kontingenten historischen und gegenwärtigen Ereignisse und Entscheidungen
als Hinweis auf eine Verschwörung (und als durch diese bedingt). Dabei
kommt eine überkohärente, simplifizierende Interpretation zustande, die
»eine strengere Logik und weniger offene Enden als die Realität« aufweist
(Pipes 1998: S. 59 und vgl. auch Groh 1992: S. 272). Wie Hofstadter (1996)
feststellt, spiegeln sich in der Verschwörungstheorie so die den Verschwörern
unterstellten Eigenschaften:
»In fact, the paranoid mentality is far more coherent than the real world, since
it leaves no room for mistakes, failures, or ambiguities […] it believes that it is up
against an enemy who is as infallibly rational as he is totally evil and it seeks to
match his imputed total competence with its own, leaving nothing unexplained
and comprehending all of reality in one overreaching, consistent theory.« (S. 36f.)
In extremen Fällen kommt es in dem Bestreben, die beschriebene Kohärenz
auszuweiten oder aufrechtzuerhalten, zu einem Auftürmen von Verschwörungstheorien:
Immer neue Aspekte werden mit mehr Verschwörungen erklärt
und fehlende Beweise oder Gegenbeweise als Täuschungsmanöver der
Verschwörer und somit als Beweis für die Verschwörung interpretiert (vgl.
Pipes 1998: S. 72f.). Wenn derartige logische Schleifen Anwendung finden
und alles zum Beweis für eine Verschwörung gerät, wird die betreffende
Theorie von innen gesehen, d.h. ohne Einnahme eines theoretischen Metastandpunktes,
unwiderlegbar (vgl. Wilson/Hill 1998: 9).
Dies stellt eine Steigerung der bereits konstatierten thematisch bedingten,
annähernden Unüberprüfbarkeit verschwörungstheoretischer Behauptungen
dar. Durch die Eigenschaft der Unwiderlegbarkeit und Unbeweisbarkeit
wird Verschwörungstheorie zu einer Angelegenheit der persönlichen
Überzeugung. Sie erhält dabei oft den Status einer quasi-religiösen Überzeugung
– verbunden mit dem Glauben an annähernd übernatürliche Kräfte
der Verschwörung (vgl. Hofstadter 1996: S. 30; Pipes 1998: S. 47; Popper
1997: S. 495; Groh 1992: S. 273; Melley 2000: S.

. Mögliche Gründe
für diese quasi-religiösen Elemente werden sich im weiteren Verlauf andeuten
und im abschließenden Kapitel diskutiert.
(Zitiert aus "Marc Lutter
Sie kontrollieren alles!
Verschwörungstheorien als Phänomen der Postmoderne
und ihre Verbreitung über das Internet")