


Heute Nacht ist mir eine kleine Schmetterlings-Weihnachtsgeschichte zugeflogen, die ich Euch gern zu Weihnachten schenken möchte. Ich hab sie für die kleineren Menschlinge geschrieben, aber sie enthält so ziemlich alles (in Kurzfassung), woran ich glaube - und einige von den Großen werden sich wohl auch darin wiederfinden........ Das ist gewollt..........![]()
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Ich hoffe sie gefällt Euch mindestens so gut wie mir...![]()
Sie ist für alle, die uns vorausgegangen sind. Fly in peace~~~
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Schmetterling und Gabelweihe - Eine kleine Weihnachtsgeschichte
~ von A. Bundy, Chicago, Illinois ~
Ihr kennt Steffi nicht, aber wenn ihr sie kennen würdet, würdet ihr sie mögen. Alle mögen sie. Sie ist fünf Jahre alt und wohnt in dem kleinen Ort Hoffnungen auf der schwäbischen Alb. Ihre langen braunen Haare hüpfen immer ein bisschen, wenn sie lacht, und sie lacht sehr oft.
Vor einem Jahr, im Herbst des Jahres 2009, passierte etwas Schlimmes. Ihr Bruder Paul, den sie über alles geliebt hatte, starb auf dem Gehweg direkt vor ihrem Elternhaus, weil dem Fahrer eines Lieferwagens seine Zigarette runtergefallen war. Er wollte sie aufheben, kam von der Straße ab und erfasste Paul, der gerade eine Katze streichelte. Er liebte Tiere, und die Katzen der Nachbarn kamen immer zu ihm, wenn sie Streicheleinheiten brauchten. Die Katze überlebte, aber Paul war sofort tot. Er war zehn als er starb, und Steffi malte im Kindergarten gerade einen Adler, als der Unfall passierte.
Am Abend holten sie Mama und Papa zusammen vom Kindergarten ab. Das wunderte sie. Mama kam sonst immer alleine, weil Papa länger arbeiten musste. „Hallo Mariposa“, sagte Papa, und Steffi wusste sofort, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Paul hatte sie immer Mariposa genannt. Das war spanisch und hieß Schmetterling. Er hatte immer gesagt, dass sie lachte, wie ein Schmetterling lachen würde, wenn er es könnte. Sie fand den Namen sehr schön.
Papa und Mama weinten. Das hatte sie noch nie gesehen, und sie musste auch weinen. „Was ist?“, flüsterte sie traurig. „Paul ist gestorben“, sagte Mama. „Ein Auto hat ihn überfahren. Du musst jetzt ganz tapfer sein.“
Steffi wurde plötzlich ganz schwindlig und sie wachte erst wieder auf, als sie im Auto im Kindersitz saß. Sie hörte ihren Papa schreien und sagte: „Papa, er ist nicht tot. Er hat es mir gestern gesagt.“
„Oh meine arme kleine Maus“, sagte Mama, und wischte ihr die Tränen von den Wangen. „Dein Bruder ist wirklich nicht mehr da, aber in unseren Herzen wird er immer weiterleben.“
„Nein, Mama“, sagte Steffi, „es ist wahr. Er hat mir gestern Abend erzählt, dass er bald auf eine Reise gehen muss, weil er ein Engel ist und der liebe Gott ihn dringend braucht. Er hat gesagt, dass ich nie glauben soll, dass er tot ist, und er hat mir versprochen, dass er immer auf mich aufpassen und mich als Schmetterling oder als Gabelweihe besuchen wird, wenn ich ihn rufe.“
Steffis Mama weinte noch mehr, und ihr Papa musste sie festhalten. Der Rote Milan war Pauls Lieblingsvogel gewesen, und immer wenn einer über ihr Haus geflogen war, hatte er gerufen: „Gabelweihe im Anflug!“ Er hatte sie immer so genannt, weil ihm der gegabelte Schwanz so sehr gefiel, und weil Opa ihm mal erzählt hatte, dass die Gabelweihen in Wirklichkeit verzauberte Steinadler seien, denen der liebe Gott mit der Sonne den Schwanz gestutzt hatte, um sie noch schöner zu machen.
„Sei nicht traurig, Mama“, sagte Steffi. „Er ist nicht tot. Ich versprech`s dir.“
Doch Mama und Papa waren traurig. Sie redeten in den Tagen nach dem Unfall nur noch sehr wenig und weinten sehr viel, und wenn Steffi ihnen wieder erzählte, dass Paul gar nicht wirklich gestorben war, weinten sie nur noch mehr. Eines Abends hörte sie, wie Mama und Papa sich stritten, und am Ende sagte Mama: „Vielleicht sollten wir sie zu einem Kinderpsychologen bringen. Sie verkraftet das nicht. Mein Gott, ich würde diesen Mann am liebsten umbringen, so wie er unsere Familie umgebracht hat.“
Steffi wusste nicht, was ein Kinderpsychologe war, aber sie wollte nicht, dass ihre Eltern sich wegen ihr stritten. Deshalb beschloss sie, nicht mehr über Paul zu sprechen. Und sie beschloss, für den Mann zu beten, der ihren Bruder überfahren hatte. Er war zwei mal da gewesen und hatte vor der Tür geweint, ein Mann, der sicher schon älter als 50 war, aber Papa hatte nicht aufgemacht. Ihr tat er leid.
Am 24. Oktober war Steffi mit Papa beim Einkaufen. Sie hielten beim Lidl und Papa sagte, dass er nur kurz die Pfandflaschen abgeben müsse und sie so lange sitzen bleiben solle. Sie freute sich, weil sie dann weiter Musik hören könnte. „Papa, bitte lass den Schlüssel stecken, sonst geht die Musik aus“, bettelte sie. Papa lächelte sie traurig an, nahm die beiden Tüten mit den Plastikflaschen, und ging in den Laden.
Steffi sang gerade „Du bist das Beste was mir je passiert ist“ mit, das Lieblingslied von Paul, als plötzlich die Tür aufging. Ein Mann stand neben dem Auto und sagte: „Hallo Kleine, schnall dich bitte ab und komm mit. Ich bin von der Polizei, und wenn du schreist, dann muss dein Papa ins Gefängnis.“
Steffi hatte große Angst, weil der Mann böse aussah und nach Bier roch. Sie drückte zitternd auf den orangenen Knopf des Anschnallgurts, und der Gurt schnappte auf. Der Mann nahm ihre Hand und zog sie aus dem Auto. Als er sich umdrehte, hörte Steffi ein lautes Kreischen und sah, wie ein riesiger Vogel auf dem Kopf des Mannes landete, mit den Flügeln schlug und mit dem Schnabel in sein Gesicht biss. Blut spritzte, und der Mann fiel um. Er schlug rückwärts mit dem Kopf auf dem Boden auf und der Vogel breitete seine Flügel über seinem Gesicht aus. Es war ein Roter Milan. Sein rostroter Schwanz bedeckte den fleckigen, weißen Pullover des Mannes, der sich nicht mehr rührte.
Ein anderer Mann kam angerannt und fragte Steffi, ob mit ihr alles ok sei, und sie sagte ihm, dass der Mann böse sei und sie mitnehmen wollte. Als ihr Papa aus dem Laden kam, flog der Milan los, drehte noch zwei Kreise über ihnen, und irgendwann sahen sie ihn nicht mehr. Ihr Papa umarmte sie, und zwei Polizeiautos kamen mit lautem Sirenengeheul angeschossen.
Ihre Eltern sagten nie ein Wort über den Milan. Wahrscheinlich hatten sie Angst, dass die Leute sie auslachen würden. Auch in der Zeitung stand nur, dass ein lange gesuchter Kinderschänder durch das mutige Eingreifen eines Kunden gefasst werden konnte, aber sie wusste ganz genau, dass es Paul gewesen war, der sie gerettet hatte. Sie hoffte, dass ihre Eltern auch irgendwann glauben würden, dass er nicht tot war.
Kurz vor Weihnachten lag sie in ihrem Bett, in dessen Kopfende ihr Bruder ein Jahr zuvor das Wort „Mariposa“ mit seinem Schnitzmesser reingeschnitzt hatte, und redete mit Paul. Sie flüsterte: „Hallo Paulchen Panther, bitte hilf mir. Unsere Eltern glauben nicht, dass du nicht tot bist. Bitte gib ihnen ein Zeichen. Ich hab auch schon eine Idee. Mama hat gesagt, dass wir am heiligen Abend vor dem Gottesdienst noch auf den Friedhof gehen, um dir deine Geschenke zu bringen. Es ist ja jetzt Winter, und da gibt es keine Schmetterlinge. Wenn du also als Schmetterling zum Grab kommen könntest, dann würden sie ganz bestimmt glauben, dass du es bist. Komm doch als blauer Mofo. Ich weiß, dass ich es nicht richtig sagen kann, aber das ist doch dein Lieblingsschmetterling, und den gibt es ja auch nicht bei uns.“
Am heiligen Abend standen sie alle in der Nachmittagssonne im Schnee vor Pauls Grab und weinten. Mama, Papa, und die beiden Omas und Opas, die auch mitgekommen waren. Nur Steffi weinte nicht. Sie war zu aufgeregt. Sie durfte die Geschenke aufmachen. Im ersten Päckchen von Mama war ein kleiner Schutzengel, den sie neben den Weihwasserbehälter stellte, und aus dem zweiten Päckchen kam ein wunderschönes Bild von Paul, auf dem er zwei der Nachbarskatzen umarmte. Dann machte Steffi das Geschenk von Struppi-Oma auf, die so hieß, weil sie früher mal einen Hund namens Struppi gehabt hatte, den Paul sehr geliebt hatte, und man musste Omas ja unterscheiden können.
Es war ein Foto des schönsten Schmetterlings, den Steffi kannte: Ein blauer Morpho. Seine Flügel glitzerten wie Edelsteine im Licht der Sonne. Steffi lächelte und sagte: „Passt auf, gleich kommt Paul!“
Als sie aufstand, sah sie, wie derselbe Schmetterling , der auf dem Foto war, auf der Schulter von Struppi-Oma landete. Ihre Mama sah ihn, kniete sich hin und weinte und lachte gleichzeitig. Der Schmetterling flog zu ihr, setzte sich auf ihre Nase und streichelte ihr Gesicht mit seinen Flügeln. Dann flog er auf Papas Hand, zur anderen Oma und den beiden Opas, wo er sich immer auf die Schulter setzte, und zum Schluss kam er zu Steffi. Auch bei ihr landete er auf der Nase. Sie spürte das zarte Streicheln seiner Flügel auf ihren Wangen und hörte die Stimme ihres Bruders leise sagen: „Frohe Weihnachten, Mariposa.“ Dann flog er einfach nach oben in den Himmel, bis sie ihn nicht mehr sehen konnten.
Am Abend, als alle am Esstisch saßen und der Duft von Brathähnchen, Weihnachtsplätzchen und Lebkuchen in der Luft lag, klingelte es an der Haustür. Steffis Papa schaute durch den Türspion, wartete ein paar Sekunden, und machte dann die Tür auf. Es war der Fahrer. Er weinte und hatte ein Geschenk in der Hand. Ihr Papa umarmte ihn und sagte: „Es ist das Fest des Friedens. Kommen sie rein und seien sie unser Gast.“
Als der Mann zitternd seine Jacke auszog und ihre Mama sie ihm abnahm, musste Steffi auch weinen. Es waren gute Tränen.
Der Mann setzte sich neben ihrem Papa an den Tisch, und plötzlich hörte sie ihren Bruder lachen. Sein unvergleichliches, glockenhelles Lachen schien von oben zu kommen. Die anderen mussten es auch gehört haben, denn sie schauten alle zur Zimmerdecke und lächelten.
Ihr Papa sagte: "Paul ist da. Lasst uns essen. Frohe Weihnachten, alle miteinander!"
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Keep the faith,
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