Steuerliches Waterloo
Natürlich war Valentino Rossi volljährig, als er am 15. März 2000 seinen Wohnsitz nach London verlegte. Aber wie die meisten Spitzensportler war er kein Steuerexperte, schon gar nicht mit 21 Jahren. In seiner ersten Saison in der Königsklasse hatte der bereits zweifache Weltmeister anderes zu tun, als sich um knifflige steuerliche Einzelheiten zu kümmern. Rossi vertraute jahrelang auf sein Umfeld, angeführt vom bizarren Manager Luigino «Gibo» Badioli, dem offenbar nicht einmal die einfachsten Grundlagen des internationalen Einkommenssteuerrechts vertraut sind. Sonst hätte er 2000 nicht am St. James Square in London eine möblierte 45-Quadratmeter-Wohnung für Rossi und sich gemietet und in der Illusion gelebt, das genüge, um Rossis Millionen-Einkommen (seit 2004 rund 22 Millionen Euro im Jahr) steuerfrei geniessen zu können.
Badioli dürfte aber in Wirklichkeit auf dem Mond gelebt haben. Sonst wäre ihm nicht entgangen, wie internationale Sportstars wie Alberto Tomba und Boris Becker sowie Startenor Luciano Pavarotti in millionenschwere Steueraffären verwickelt wurden. Der weltfremde Badioli hätte ahnen müssen, wen sich die «Guardia di Finanza» als nächsten vorknöpfen würde, nachdem sie Biaggi und Capirossi nachgewiesen hatten, nicht genug Zeit in der Steueroase Monte Carlo zu verbringen und sie zu kräftigen Strafen und Nachzahlungen verdonnert hatten. Biaggi bezahlte, verkaufte sein Domizil in Rom, brach alle Zelte in Italien ab und wohntjetzt in Monte Carlo und mitunter in Malibu/Kalifornien.
Dass die Einkommenssteuer dort bezahlt werden muss, wo der Mittelpunkt der Lebensinteressen liegt, sollte jeder Bürger wissen.
Wo der Mittelpunkt der Lebensinteressen bei Rossi lag und das Zentrum seiner wirtschaftlichen Interessen, lässt sich erahnen: kleines Appartement im verregneten London, aber sieben Autos, eine Villa und weitere Liegenschaften in Tavullia, Wohnung in Mailand, Luxusyacht Pershing 50 im Adriahafen Gabicce Mare, italienische Freundin, ausnahmslos italienische private Sponsoren, alle Familienmitglieder in Italien. Trotzdem lieferte Rossi 2002 in Italien nur 500 Euro Steuern ab. Im triebhaften Verlangen, möglichst wenig Steuern zu bezahlen, machten Badioli und Rossi schwerwiegende Fehler. Da die Vermögenssteuer auf Liegenschaften für Italiener preiswerter ist, wenn der Steuerpflichtige seinen Erstwohnsitz in Italien hat, soll Rossi bei der Vermögenssteuererklärung Italien als Erstwohnsitz angegeben haben. Er hoffte wohl, die Einkommenssteuer-Fahnder würden davon nicht Wind kriegen. Irrtum!
Rossi besitzt zwar inzwischen ein Haus im englischen Nobelbezirk Mayfair. Trotzdem soll er in Italien für Einnahmen von 60 Mio Euro :2000 bis 2004) rund 102 Mio Euro an Strafe und Nachsteusrn bezahlen. Bisher wird ossi nur das Delikt «Nichteinreichen einer Steuererklärung» /irgeworfen.
Ein weiterer erklecklicher Betrag dürfte auch für die Jahre 2005 und 2006 fällig werden. Rossi hat inzwischen Staranwalt Luciano Monaco verpflichtet, der bereits Pavarotti spektakulär vertreten hat. Man darf davon ausgehen, dass aussergerichtlich irgendein Deal ausgehandelt wird. Rossi könnte nämlich drohen, seinen Wohnsitz wahrhaftig für den Rest seines Lebens ins Ausland zu verlegen, dann würden die italienischen Fahnder für immer durch die Finger schauen.
Es gibt genug reizvolle Länder, die prominente Sportler aufnehmen und bei der Einkommenssteuer mit sich reden lassen. In der Schweiz müssen Ausländer, die hier keiner Geschäftstätigkeit nachgehen, gar keine Einkommenssteuer bezahlen. Sie müssen nur ihr Vermögen und ihren Aufwand versteuern. Kein Wunder, haben sich M. Schumacher, Raikkönen, Massa, Neidfeld, Vettel, Loeb, Ekström und Boris Becker (sowie etliche Radprofis wie Jan Ullrich und Steffen Wesemann) hier niedergelassen, dazu Hofmann, Rolfo, Laconi, Muggeridge; auch Gibernau hatte seinen Wohnsitz in der Westschweiz.
Andere Sportstars wie Ralf Schumacher und Michael Stich haben sich in Österreich niedergelassen. Denn dank der österreichischen Skirennläufer und Fussballer existiert in der Alpenrepublik ein anderer Steuersatz für Spitzensportler. Begründung: Sie verdienen im Schnitt nur zehn Jahre ihres Lebens aussergewöhnlich viel, also gilt für diesen Zeitraum nicht der übliche Spitzensatz der Einkommenssteuer. Auf diese Weise werden Sportstars wie Hermann Maier und Benni Raich im Land behalten.
Fazit: Steuerflüchtlinge wie Melandri, Checa, Pedrosa, Lorenzo und Dovizioso, die ebenfalls vorgeblich in England hausen, sollten auf der Hut sein. Sonst erleben sie ein steuerliches Waterloo wie der grosse Rossi