Die R6 hatte seit Mai einen Ersatzmotor, den mir unser Henning aufgeschwatzt hat (Danke dafür), aber ich habe keinen Sensor. Vielleicht brauche ich das nur eine, wer weiß, ob ich nicht auch noch das andere brauche. Ich schaue nach. Ich rechne. 9350km. So viele Kilometer war ich gefahren, seit mir ein Herr Klein das zurechtgerückt hatte, was der Mechaniker des Grauens verrückt hatte. Da kann man schon einmal einen neuen Motor brauchen. Bei einer BMW oder einer R1 oder einer RSV4 oder - bei einer R6?!?
Der Countdown tickte.
Auf meine ganz vielleicht eventuell-verkaufen-Anzeige meldete sich niemand. Eine einfache verkaufen-Anzeige hätte wohl mehr gezogen. Und der Henning? Der wollte unbedingt, dass ich eine SC82 kaufe, damit er mal damit fahren kann, und verkaufte mir die Idee als "schnelle Lösung". OK, ich sah sie mir an und stellte fest, dass ich wider Ewarten draufpasste. Aber das war nicht mein Ding, das Ding. Zumal die Lösung auch nicht schneller gewesen wäre ohne Schalt-rauf-runter-Funktion. Alle meine Telefonjoker verstanden auch nicht, was das gesollt hätte. Ich verstand es am allerwenigsten.
Nächste Woche war ein Meeting in Lodz, dann musste ich unbedingt bestimmt schon irgendwelche Angebote fertig machen, aber zumindest irgendwas budgetieren, planen und reportieren. Und dann war dieser Termin in Misano. Ohne allerfeinste Box, dafür aber mit Henning. Das versprach permanente gute Stimmung, so richtig Urlaub. Dazu kam, dass mein Herr Vater, der bei sowas immer auf die Kindschaft aufpassen musste. Schon sehr klapprig geworden war und vor Schmerzen kaum laufen konnte. Und dass er vermutlich gar nicht wusste, dass man ihm mal wieder was aufs Auge gedrückt hatte. Ich war ziemlich sicher, den Termin nicht wahrnehmen zu können.
Ich hatte wirklich viel Interesse, nicht nach Italien fahren zu müssen. Aus Gründen.
Andererseits: Da war ein Motor, einen Sensor konnte man besorgen, und ich wollte wissen, ob ich vibrationsparanoid war und mir das alles nur eingebildet hatte - also bat ich den Mechaniker des Hauses das mit dem Motortausch anzugehen. Vor einigen Tagen habe ich durch die Wohnzimmerwand aus der Garage Lebenszeichen gehört. Und ich hoffe, dass auch ein neuer Sensor dran ist. Interesse an dem Misano-Termin hatte ich immer noch nicht, musste jetzt aber die Dienstleistung irgendwie vergüten.
Dann fahr ich halt alles hin. Und dann fahr ich halt einen Motor ein, obwohl ich keine Ahnung habe, wie das geht. Fällt man da nicht wieder hin, weil Reifen kalt werden?!?
Jetzt habe ich nach dem letzten Telefonat um halb sieben Abendessen gemacht, danach eine Quarkspeise angesetzt, während die Tomatensoße für Sonntag einreduzierte. Vorkochen, damit der Opa nicht so viel zu tun hat. Ich habe noch nichts gepackt und auch kein Kind gekuschelt. Ich muss auch noch eine Liste "unbedingt Aufessen" anfertigen. Die Wäsche war gücklicherweise heute doch noch trocken und ist eingeräumt, aber tut das wirklich Not? Die eine Stunde Internetvollschreiben setzte ich mal als Psychotherapie an, das ist wichtig. Aber sonst? Ich bin sicher, man kann seine Tage auch einfacher verbringen.
Das ist definitiv meine letzte Saison. Die letzte, in der es für mich so anstrengend wird, wie es bisher gewesen ist. Ich kann das einfach nicht mehr leisten. Und die Kindschaft hat auch nicht mehr sehr viel davon, Ferientage in Fahrerlagern rumzuhängen. Das Konzept geht leider nicht mehr auf.
"Haaha, du bist doch nicht ernsthaft für ne 2:03 nach Misano gefahren?", das Lachen am anderen Endgerät gehörte zu unserem Sascha, der sich, zumeist um mein Wohlergehen bemüht, immer wieder Zeit für mich nahm. "Ich fand 2:03 gar nicht so schlecht", warf ich zurück "Wer fährt denn da 2:03?" "2:03 fahren da verdammt viele, vor allem am ersten Tag!" Das Lachen hörte nicht auf. "Kann ich doch nichts dafür, es war doch eigentlich mein erster Tag!", verfiel ich wie so oft in den Rechtfertigungsmodus.
In erster Linie hatte unser Sascha recht. Ich war für eine 2:03 nach Misano gefahren. Darüber war ich auch noch froh. Und das, obwohl ich eigentlich in Richtung der 1:50 wollte.
Die R6 hatte einen neuen Motor. Ich hatte klargestellt, dass ich kein anderes Motorrad für mich in Betracht ziehe und dass ich ebenso keine an die 20000 Euro für irgendwas ausgeben würde, wenn ich doch mit dem, was ich hatte, so gut zurechtkam. Mehrere Tage Arbeit hatte unser Henning damit zugebracht, Schauben zu lösen, Flaschenzug zu betätigen und Schrauben wieder festzuziehen. Und dafür war es meine Gegenleistung, das ganze Gerümpel an die Adria zu schleppen - hatte sich mein Gewissen entschlossen. Mein klappriger Herr Vater hatte sich aufgrunddessen bereiterklärt, ein paar Tage Treppensteigen auszuhalten. Und die Kindschaft, die hatte keine Wahl.
Am 27.9. gegen sieben Uhr am Morgen hatte ich den Anhänger an den Skoda gebastelt. Ganz ruhig, ganz leise und ohne das Bedürfnis irgendwen anmotzen zu müssen. Es ging also doch. Man konnte einen Anhänger an eine Anhängerkupplung bekommen, ohne dabei ausfallend zu werden. Mein Tag hatte um kurz vor sechs angefangen, langsam hatte ich vor mich hin gepackt, Kaffee gemacht und getrunken, während alle noch schliefen. Als mein Wecker klingelte, war ich die einzige, die aufgestanden war. Als unser Henning endlich abfahrbereit war, standen Auto und Anhänger in Fluchtrichtung vor dem Haus. Der kleine Jan stand auch vor dem Haus. Beziehungsweise schlurfte nervös auf und ab. Lea war noch nicht einmal aufgestanden. Der Opa war noch nicht da, und Jan machte sich Sorgen, dass der Opa nicht käme. Nicht besonders überraschend hatte derjenige, der als letztes aufgestanden war, es jetzt am eiligsten. Und während Jan etwas besorgt in meine Richtung blickte, durfte ich mal wieder diskutieren. Darum, dass man kleine Kinder nicht alleine lässt, wenn ihnen das Sorgen bereitet. Mit einem festen Blick tief in die Augen konnte ich Jan auf die 10 Minuten herunterhandeln, die er zu warten hatte, bis der Opa da sein würde. Ich war erleichtert, als ich dem Opa noch persönlich einen guten Morgen wünschen konnte, knapp nachdem ich angehalten hatte, um den rechten Außenspiegel noch besser einzustellen.
Nach 900 km weitestgehend ruhiger Fahrt bei freundlichem Autofahrwetter saß ich in einem Zimmer vom Dannerwirt und sah aus dem Fenster. Abermals hatte man mich beim Einparken auf dem engen Parkplatz (zum Busparkplatz wollte niemand - war zu weit), was ich noch nicht so ganz gut kann, angemotzt und hatte mir erklärt, wie die Welt zu funktionieren hatte. Wie konnten bloß andere Menschen ohne den Motzkick überleben? Ich brauchte das jedenfalls nicht und hatte entschieden, mich nicht mehr daran zu beteiligen. Ich saß also auf diesem wunderschönen Bett und sah aus dem Fenster. Nicht nur der Ausblick, sondern alles hier war ein Déjà Vu. Das Einparken, das "deine Tasche kann ja auf den Stuhl" und der ganze Rest. Auch das Abendessen im Restaurant mit wirklich guter Küche war wie erwartet famos. Für Paare wäre es eine romantische Hotelübernachtung mit Abendessen. Ich war nicht deswegen hier. Ich war hier, um einen Termin in Misano stattfinden zu lassen, den ich noch nicht lange vorher gern abgesagt hätte. Aber jetzt hatte ich diesen neuen Motor. Und den konnte man genau so gut in Misano einfahren. Mein Schlaf war den Umständen entsprechend. Es half auch nicht besonders, dass jede (!) Stunde und alle 15 Minuten die Kirchglocken läuteten.
Nach dem wiederum sehr guten Frühstück half ich dem Henning ausparken. Es lief wie erwartet. Wir hatten noch knapp 700km zu fahren, und ich fragte mich, ob da überhaupt noch Freundlichkeiten für den Abend übrig waren. Pflichtbewusstsein war nicht immer gut. Gegen 18 Uhr erreichte ich mit meinem Fahrgefährt und Fahrgefährten Misano. Einfahrt war noch lange nicht, und ich parkte alles dort, wo es nicht im Weg stand. Immer wieder kamen Einfahrtswillige und versuchten, die Schranke hochzuparken, mussten aber wieder umdrehen. Irgendwann drehte man gar nicht mehr um. Die Schranke ging trotzdem nicht hoch, und der Verkehr staute sich komplett. Anwohner fuhren rückwärts oder, wenn das Auto klein war, über den Fußweg und Zebrastreifen. Henning hatte Hunger und holte zwei Pizze von Bianca, mir eine Calzone, mit dem Fahrrad. Ich hatte eigentlich nicht viel Hunger, diese Calzone war aber sooo lecker, dass ich aufessen musste. Es war gut, einen hungrigen Mann mit Fahrrad dabei zu haben. Der fuhr schon wieder durch die Gegend, während ich mit Kopfweh und Schlafbedürfnis hin- und herging. Andere hatten schon einen Handtuchpavillon reingetragen und aufgebaut. Henning wollte sein Handtuchfahrrad irgendwo hinlegen. Das einzige, was ich hinlegen wollte, war ich. Mehr als 1500km in zwei Tagen zu fahren, war machbar, aber leicht absurd. Ich hatte immer noch Kopfweh, aber was sich dazugesellt hatte, war das Brennen in der Kaiserschnittnarbe, welches seit über zehn Jahren zuverlässig Regenwetter ankündigte. Und zusätzlich Wetterumschwünge, die es in sich hatten. Am dritten Tag sollte es regnen, und obwohl ich "vielleicht zieht es ja vorbei" sagte, wusste ich sicher, dass das nicht passieren würde.
Als die Schranke hochging, schien es, als hätten alle anderen auch so eine eingebaute Wetterstation. Man durfte keine Zeit verlieren bei nur zwei Tagen Fahrzeit. Ruhig und bestimmt schob ich Auto mit Anhänger durch die anderen. Im Vergleich zu dem Chaos Rimini-Ravenna in 2023 war das hier Kindergeburtstag. Einfach langsam weiter vorwärts rollen. Nach nicht einmal 5 Minuten stand ich beim Handtuchfahrrad. Kein schlechter Parkplatz. Und völlig ohne Fahrerlager-Einfahrpanik. Zumindest nicht bei mir.