Der Abstand wird kleiner. Und das auf den Beschleunigungsstücken. "Es gibt nur eine RJ27, die geht, und das ist meine! Basta." Daran gab es nichts zu rütteln. Es lag nicht am bloßen Leistungsgewicht (definitv nicht), mit Montur reichte ich an die 80kg gut heran. Es lag an meinem Gerät. Auf dem ersten Drittel von Geraden konnte ich immer noch BMW und R1 und RSV4 und sogar manchmal auch gaanz, ganz teure Ducatis gut versägen. Das konnte nicht nur Wahnsinn sein. Dieses kleine gelbe Motorrad lief einfach sehr, sehr gut.
Ich zog jedesmal, im Rahmen der Möglichkeiten, so gut es ging vor dem ewigen Matadorbogen durch, so dass ich vorwärts kam. Für Grinsen war keine Zeit, aber ich freute mich, dass ich hier einen deutlichen psychologischen Vorteil hatte. Ich rückte immer weiter an Nummer 115 heran, und die Sektion "Ölspur" tat ihren Teil dazu. Und trotzdem kam auch Nummer 115 immer weiter an die teureren Plätze heran. Wir trafen auf Neon. Neon...am Freitag war das kurz vorbeigehuscht. Keine Zeit für Grübeln. Wir schlängelten uns flüssig defensiv vorbei.
Wow. Damit hatte ich nicht gerechnet. Jetzt war in meiner Reichweite nur noch Nummer 115 übrig. Mittlerweile war in der Spitzkehre gelb geflaggt. Ein gewisser Mario Hohenfellner, wie ich später erfuhr, hatte leider Bodenkontakt nicht vermeiden können. Aaah, die Spitzkehre. Unser Henning stellte vorn an der Gabel rum, ich fand, dass es sich viel fröhlich zügiger in die Kurve reinfahren ließ, und ließ sodann zügig die Bremse los. Nicht langsam, nicht progressiv, zügig. Und genau so lag ich dann auf der Nase. Ich stand ungefähr da, wo Mario jetzt stand. Und die R6, also meine, hatte leider ziemlich viel kaputt. Immer, wenn dort ein Stummel über das Gehoppel rutscht, geht ordentlich was kaputt.
So etwas passierte mir nicht mehr. Ich hatte jetzt so viel mehr Erfahrung. Ich hatte so viel gelernt, daraus, wie es nicht geht. Ich hatte die Ergonomie eingestellt. Ich hatte gefühlvoll fahren gelernt. Ich hatte...ich hatte Regenreifen aus dem letzten Jahrzehnt, die schon ein Rennen hinter sich hatten.
Die Reifen fühlten sich gut an. Nummer 115 zieht nach links außen und beschleunigt auf der Geraden. "Es gibt nur eine RJ27, die geht", bekräftige ich mein kräftiges Drehen des rechten Handgelenkes. "Es gibt nur..." die Rundenanzeige zieht vorbei "...eine RJ27..." die Boxenmauer ist zuende "..., die geht..." ich greife in die Bremse und bremse ein bißchen weniger wie sonst immer und ein bißchen mehr so wie ich eigentlich endlich sollte. Nummer 115 zieht zurück. Ich bin durch. Ich bin tatsächlich zuerst durch die Schikane.
"Verteidigen, verteidigen, verteidigen" beschwöre ich mich selbst und suche nach maximaler Regengeschwindigkeit. Die Traktionskontrolle blinkt mittlerweile wie verrückt, um darauf aufmerksam zu machen, dass es doch ein bißchen rutscht. Aber nur geradeaus, auf die Ölspur zu. Trotzdem, nur ein Wahsinniger würde jetzt etwas an der Sensibilität verstellen. Ich bin soooo dankbar, dass da etwas zu funktionieren scheint.
Marios Motorrad liegt immer noch in der Spitzkehre. Most lässt wohl heute alles liegen, was dekorativ Scheitelpunkte und Kurvenlinien ziert. Egal. Ich muss Land gewinnen. Wir haben nur noch wenige Runden. Ein bißchen mehr aufdrehen und etwas früher wird doch wohl, wird doch wohl, wooooooaaaaaaah

OK. das war zu viel. Also doch wieder defensiv. Nummer 115 sieht seine Chance und schlägt zurück und darf sowas von gern zuerst durch Kurve 1. Es ist die letzte Runde. Wozu noch etwas riskieren...
Nachdem Nummer 115 verdient vor mir die Ziellinie passiert hat, dreht er sich noch um, und beglückwünscht mich. Ich bin sowas von froh, dass ich das überlebt habe und bekomme vor lauter Endorphinen das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Wir werden wohl nie erfahren, wie stark dieser Rutscher wirklich war, aber mein Popometer hat mir schon sehr oft den Allerwertesten gerettet.