Die Emanzipation
Scheiße, ist das warm. Ich sitze im eigenen Saft. Zum Glück hat der Fahrer einen Riesenpavillon, und es ist genug Schatten da. Mein Mittagstief war tiefer als erwartet. Aber Zandvoort verzeiht keine Fehler, und bisher habe ich jedes Jahr im April mein Moped geschrottet (nun gut, ich fahre seit drei Jahren). Ich mache lieber noch etwas Pause, bis ich mich gar nicht mehr matschig fühle.
Ich denke über den Fahrlehrer nach. Und über den Fahrer. Und über mich. Nach einigem Grübeln komme ich zu dem Schluss, dass der Fahrlehrer vermutlich 90 % seiner Zeit damit verbringt, total übermotivierte und untertalentierte Personen etwas abzukühlen. Da bin ich ja gar nicht so schlecht weggekommen. Das Verständnis siegt.
Für den Fahrer habe ich weniger Verständnis. Während ich überlege, wie ich ohne größere Schäden noch mehr Löcher in meine Kombi bekomme, hat der doch tatsächlich eine nicht gelochte an. Und das, obwohl durchaus eine verfügbar wäre. Die ist im Auto. Es sieht verdammt gut aus, was er da anhat, stimmt schon. Ich schiebe das auf den Frühling, schließlich schmückt sich da jedes Männchen mit dem hübschesten Kleid. Endlich hab ich auch was zum Piesacken.
Ach ich, darüber grüble ich ja auch noch. Ich leide schon genug und kann mir derartige Qualen nicht vorstellen. Ich lasse mir gern ohne Betäubung die Zähne bohren, aber noch mehr schwitzen?!?
Allerfeinstes Wetter, herzliches Piesacken und noch mehr als ein ganzer Tag zum Fahren. Es könnte nicht besser sein. Gerade als sich eine grundsätzliche Zufriedenheit mit der Lage entwickelt, kommt das kleine Teufelchen und zeigt mir die Hörnchen. Es könnte besser sein. Eigentlich hat er ja verdammt recht, der Fahrer. Da geht mehr.
Der Fahrer hilft mir noch mal vom Ständer und ich fahre los. Schließlich bin ich schon sieben und groß und kann mich selbst verbessern. Es kann einfach nicht sein, dass ich so vieles kann, nur nicht allein schneller werden. Ich sage mir „Hier ist das Gas und da ist die Bremse, also fahr einfach!“ Und ich fahre. Eine Runde nach der anderen. Ich konzentriere mich auf meine Knackpunkte, und obwohl ich die Einlenk- und Blickpylonen des Fahrlehrers immer noch nicht alle treffe (ist das überhaupt möglich?), merke ich, dass es besser wird. Aber ich bin zu schnell matt, so dass ich vorsichtshalber die Ausfahrt suche.
Am Standplatz angekommen, möchte ich anhalten und kann wieder den Hebel bis zum Stummel durchziehen. Nicht schon wieder, denke ich. Das Problem hatte ich schon in Aragon. Ich mag Bremsen gern, aber nicht so. Bremse war frisch gesäubert, Flüssigkeit getauscht, 5.1 rein, Problem immer noch da. Unsicher spreche ich den Fahrer darauf an. Ich solle das Problem während der Fahrt unbedingt beobachten und dann aufhören, sollte es sich verschlimmern. Der Vorschlag klingt gut. Ich mache mir Sorgen um meine Bremse, aber aufhören möchte ich deswegen auch nicht.
Der Fahrer ist im Beratungsmodus. Das muss ich ausnutzen. Anmotzen wird er mich schon nicht, schließlich sind wir nicht verheiratet. Man lehnt also das Moped, ach soo, und dann hier und dann runter, hm, das hört sich nicht so schwierig an. Er verspricht mir, aufzupassen. Mit dem normalen Stresslevel hätte ich das nicht gewagt. Aber hier war bis jetzt alles so unkompliziert. Ta-daaaa, fertig! Fette Suzinette steht auf dem Ständer. Ich stehe daneben und kann es kaum fassen. So einfach ist das?!? Der Fahrer steht vorn am Moped und streitet jegliche Mithilfe ab. Emanzipation.
Den Rest der Fahrtzeit reite ich auf einer Endorphinwolke. An die Bremse denke ich kaum noch. Dafür benutze ich sie. Der Gabelbinder rutscht bis auf einen Zentimeter runter. Am Ende des Tages bin ich sehr zufrieden. Wie schnell ich war? Wir schätzen 15 Sekunden langsamer als der Fahrer. Tatsächlich sind es 17.
2:25
Damit habe ich mich für die Pole an der Dusche qualifiziert, glaubte ich. Ich treffe auf zwei verschlossene Kabinen und drei Stimmen. Eine davon männlich. Aaaa-ha. Sie wollen den Durchsatz erhöhen und machen Kabinensharing. Die eine ist die Freundin von der anderen, und die duscht mit „Schaaaaahaaaatz“ zusammen. „Schaaaaahaaaaatz“ muss Duschgel halten und Wasser an- und ausdrehen und, und, und. Und sie unterhalten sich über den Tag. Und ich höre zu, muss ich doch dort warten. Die Mädels aus der Krabbelgruppe, eindeutig. Ich war froh, dass ich nicht meine Runden in dieser Gruppe drehen musste, denn die waren deutlich langsamer als ich. Also richtig langsam. Ich muss mir ein Lachen verkneifen. Und das wäre so eng gewesen und so knapp als der Typ überholt hat. Und der hätte ja ruhig mal warten können. Na, wartet mal, denke ich, das werdet ihr auch noch anders sehen. Ich erinnere mich an meine ersten Auftritte in der Opferrolle. In Calafat bin ich deswegen vor Schreck durch den Kies gerollert, weil jemand ganz fürchterlich eng neben mir war. Ganz fürchterlich eng ist relativ. Jetzt darf der bessere zuerst in die Kurve rein fahren. Manchmal bin auch ich das. Und ich bin zufrieden lächelnd stolz auf mich, weil ich mein Moped fahre und nicht umgekehrt. Was wäre wohl gewesen, hätte ich meine einsamen Runden zwischen den Entenfamilien in der Krabbelgruppe gedreht…dann dürfte ich mir hier jetzt meine eigenen Fahrmanöver anhören.
Endlich sind sie fertig und ich kann duschen. Herrlich, das Wasser löst das Salz und meine Haut wird wieder weich. Frisch geduscht zockel ich durch das Fahrerlager zurück und höre ein Kompliment von rechts. Meins? Kann nicht sein. Doch. Ganz klar, ein „du siehst gut aus“ an mich adressiert. Er sieht auch gut aus. So gut, dass ich ihm spontan noch mal zum Geburtstag gratulieren musste, obwohl das über einen Monat her war. Heute Mittag hat er mir ganz stolz gezeigt, wie gut er auch schon ohne die zwei monströsen Armbeugenkrücken laufen kann. Nicht weit und auch nicht schnell. Aber ganz allein. Man sieht die Strapazen der Genesung, es ist fast nichts mehr von den legendären Haselnuss-Nougat-Creme-Röllchen übrig. Er sieht gut aus. Ich offensichtlich auch. Das Kompliment nehme ich gerne und entgegne, dass es so leider mit dem schnell Fahren nie was werden würde. Kein Problem, das Aussehen wäre viel wichtiger.
Ich nehme mir den Frontständer vor. Der hakt immer an der Bremsscheiben, weil die Schrauben mit den Köpfen nach außen montiert sind. Das nervt. Außerdem sitzt alles nicht mehr richtig. Ich inspiziere das Ding, um danach die Schrauben umzudrehen und alles noch mal auszurichten. Der Reiter der alten R6 kam heute zwischendurch vorbei und hatte mir bei der Gelegenheit (ich hatte gerade versucht, vorn aufzuständern und es dauerte etwas länger) noch einmal erklärt, dass ich den Ständer unter die Gabel stellen und dann hochdrücken muss. Weil ich nicht so blöd bin, wie ich blond bin, verkniff ich mir den bissigen Kommentar. Vielleicht war das auch ganz gut so, denn er hat wohl auch genau dies hier gesehen.
Ich mache mich daran, das Abendessen zu grillen. Es kam noch kein Kontrollanruf. Vielleicht habe ich das Telefon nicht gehört. Wir scherzen. Bald würde mein Göttergatte den Veranstalter anrufen und jemanden herschicken, der uns auseinandertreibt. Es dauerte nicht lange, und es kam der Veranstaltungschef mit dem Rad vorbei. Wie wir denn das mit dem Schlafen machen würden. Natürlich streng nach Männlein und Weiblein getrennt. (und ja, völlig egal, wie kalt das ist)
Nein, natürlich hat ihn niemand hergeschickt, was für ein abwegiger Gedanke. Und dann ist er auch schon weg. Wir auch. Wir sind auf dem Weg zum Strand. Schließlich ist bald Sonnenuntergang.
Der Strand ist noch recht voll. Wir laufen zum Wasser hinunter. Der Fahrer mag eine Heizlüfter-Mimi sein, zeigt aber jetzt seine volle männliche Härte.

und zieht die Schuhe aus, um barfuß zu laufen. Bei etwas über 10°C Wassertemperatur zeige ich meine weibliche Weichheit und lasse die Schuhe lieber an. Wir latschen ein wenig herum und unterhalten uns. Wie wir bei Schönheits-OPs gelandet sind, weiß ich nicht mehr, aber bald waren wir bei Hundewelpen. Zurück im Fahrerlager schauen wir noch kurz auf die Fotos von Racepixx. Und tatsächlich. Der Fahrer sieht richtig scharf aus auf den Bildern. Was vermutlich auch am verspiegelten Visier liegt. Ich sehe weniger scharf aus. Aber ich habe auch nur ein halb getöntes Visier.
Ich mache mir noch einen Tee und schlüpfe dann in meine keine-Leggins-lange-Unterhose und die Suzuki-Schlafklamotte. Eingerollt in meinen Schlafsack bin ich sehr zufrieden, aber leider nicht sehr warm. Die Muskelwärme hat früher nachgelassen als gehofft. Natürlich würde ich nicht am Auto klopfen.