Teil 4
"Die eine Runde"
Zurück in der Box inspizierte ich erst mal die Reifen. Hinten hatte ich unglaublich viele Rutscher und fand nun die Erklärung. Der alte MEZ Slick sah aus wie ein Teller bunte Knete. Nun gut, mein ursprünglicher Plan, mit dem Ding komplett durchzufahren, hatte sich gerade erledigt. Ich erinnerte mich an meine Pack&Press Aktion am Sonntag und an meine Zweifel, zur Sicherheit noch einen Racetec K2 mitzunehmen. Zum Glück gilt im Zweifel immer für den Angeklagten und ich warf den kleinen Metzeler seinerzeit geschwind in den T4 Bauch. Im Normalfall hätte ich nun selbst Hand angelegt. Nicht jedoch hier. Da fast die gesamte 24h MechanikerCrew zugegen war, rief ich unseren „Chief of the Wheels“, kurz Reifenfritze, herbei. Ich bat ihn höflich, mir einen neuen K2 auf meine Ersatzfelge montieren zu lassen. Ohne Murren zog er schwer bepackt Richtung Reifendienst von dannen. Cool! Ich glaube, jetzt hab ich’s geschafft. Mit so einer Crew kann man richtig einen auf dicke Hose machen.

Um nicht abzuheben wie Paris Hilton, demontierte ich das alte Hinterrad höchstpersönlich, man will sich ja bei der Basis nicht gleich unbeliebt machen. Als ich gerade einen Hektoliter Wasser zu mir nehmen wollte, kam die Langstreckenwaffe rein. Irgendwer rief „Rödeldraht, schnell, schnell“. Das blöde Griffgummi vom linken Stummel hatte sich trotz Rödeldrahtsicherung gelockert und Heini musste in jeder Runde das Gummi nebenbei zurückschieben. Bis der Draht endlich auftauchte und Carsten zu seinem ersten Turn raus kam, waren knapp vier Minuten vergangen. Naja, ist ja noch ein wenig Zeit bis zur Speedweek
Mein Blick fiel auf den Zeitenmonitor. Ich hatte mich an Björn als Dritter übergeben, aktuell lagen wir auf Fünf. Sah doch ganz gut aus. Ich warf mich auf meinen grünen Stuhl und wartete auf meinen persönlichen Reifenwexler. Endlich kam er. Die Hepelmänner hatten eine ganze LKW-Ladung an Reifen umziehen lassen. Ich vermutete reine Schikane, dafür würde ich sie gleich fürchterlich herbrennen müssen. Endlich gab Björn das Zeichen zum Reinkommen. Ich sprang auf meinen frisch getankten und hinten neu besohlten Boliden und rollte an den Wechselplatz. Björn düste neben mich, der Transponder wurde flux umgesteckt und ich bekam meinen Klaps auf den Rücken, ein untrügliches Zeichen, dass ich wieder zu meinen Spielkameraden darf. Noch kurz mit flauem Gefühl im Magen an Günni vorbeigemogelt und schon war ich wieder am schönsten Ort der Welt. Um meine Grundagressivität weiter zu erhöhen, überholte ich noch in der Boxenausfahrt eine blaue SRAD und freute mich des Lebens. Nach einer Runde auf Sicherheit stellte ich fest, dass ich trotz eines vollen 50min Turns noch fit wie ein Sportsocken war. Eine völlig neue Erfahrung für mich. Nach einer weiteren halben Runde stellte ich fest, dass der hintere K2 das tat, was ein neuer K2 immer tat, er klebte wie Kacke am Handtuch. Ich eröffnete die Jagd und wütete fürchterlich im Feld der Bördesprinter. Mein Zeitenschätzgerät signalisierte mir diverse 37er und 36er Zeiten im fließenden Verkehr. Eigentlich sehr geniale Zeiten, aber ich wollte mehr. Hier geht noch was. Trotz Kälte und WTCC war der Grip besser als erhofft. Vorne fühlte sich alles gut an und hinten klebte das Gummi sowieso wie Konrads Spezialkleber. Ich liebe diesen Reifen. Eine freie Runde, das wär’s, nur eine Runde, dann könnte meine 35er Bestzeit aus 2004 endlich fallen. Damals pilotierte ich noch eine K1 und hatte bei Prospeed exakt eine 35er Zeit hingebrannt. Es war meine einzige bis zu diesem Tag. 36er Zeiten dagegen kann ich wahrscheinlich auch fahren, wenn man mich nachts um 3 Uhr weckt und aufs Mopped setzt. Ich war mittlerweile ein wenig angefressen, dass jedes Mal irgendwas schief ging oder nicht 100% passte. Beim 2005er BS hatte ich nur alte Reifen, bei Robert im gleichen Jahr war der Grip bescheiden, bei Plüss 2006 hatte jemand den Lenkerstummel nicht festgezogen, kurz, irgendwas war immer...
Zurück zum Hier und Jetzt: Als ich auf Start/Ziel einbog, sah ich ganze Wandergruppen vor mir und fasste mich weiter in Geduld. Ich perfektionierte derweil meine Überholvorgänge und korealisierte Überholpunkte, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Getreu dem hanebubschen Motto „Eng ist’s, wenn man sich berührt“ bemühte ich mich, ohne Feindkontakt vorbei zu huschen. Ich fürchte allerdings, dass teilweise höchstens ein Brusthaar von Bundy zwischen die Verkleidungen passte. Ich hoffe, dass sich niemand zu sehr erschrocken hat.
Beim IDM-Lauf vor ein paar Tagen hatte ich mir die Linien von Schulten und Co in der Rechts/Links Kombination nach der Gegengeraden genau angeschaut. Die Jungs blieben in der Rechts möglichst weit rechts, warfen das Mopped in atemberaubender Geschwindigkeit aus voller rechter Schräglage punktgenau in extreme linke Schräglage und zogen brutal früh das Gas beim Rausbeschleunigen aus der Links auf. Sah eigentlich ganz einfach aus. Besonders das schnelle Umlegen fand ich genialst und wollte das unbedingt nachmachen. Also konzentrierte ich mich in einer Runde besonders auf den Bremspunkt Ende Gegengerade und bremste etwas früher als normal, um die Rechts perfekt zu erwischen. Dies gelang und ich feuerte durch die Rechts. Nun kam es drauf an. Ich richtete das Mopped so schnell wie möglich auf und warf mich mit mächtig Schwung nach links und riss das Mopped hinterher. Zwei Dinge passierten. Erstens lag ich fast auf meiner Hackfresse, weil ich hart mit meinem linken Knie auf den Asphalt aufschlug, hektisch korrigierte und dadurch in üble Taumelei geriet und zweitens hämmerte ich mit viel zu viel Speed auf die inneren Kurbs der Links zu, da ich den Boliden locker 10m zu früh rumgerissen hatte. Man könnte, vorsichtig ausgedrückt, von einem absolut dämlichen Manöver sprechen. Hm, dass scheint also doch etwas mehr Übung zu erfordern. Ich machte eine Notiz in meinem Pflichtenheft. Nach diversen weiteren Versuchen, in denen ich alle Curbs, Rasengittersteine und Kunstrasenplatten in dieser Ecke mitnahm, wurde es immerhin langsam besser.
Ein Blick auf den Zeitenmesser machte mich fertig. Die 35er Zeit wollte einfach nicht fallen. Egal, was ich tat, irgendwo stand immer ein Kollege im Weg und vereitelte die absolute, die EINE Runde. Ich biss kleine Stücke aus meiner Verkleidungsscheibe und spuckte sie vor den Hayabusa-Mann. Er nahm mir das wohl übel und sollte sich alsbald rächen. Als ich mal wieder über S/Z feuerte und gebannt auf die Digitalanzeige schaute, kredenzte sie mir endlich eine 35,8. GEHT DOCH! Ich frohlockte ein wenig. Endlich war diese kacksaupillemannarschenlochblöde 36er Zeit gefallen. Der Tank war halb voll, ich trug ein getöntes Visier und ich hatte noch ein halbes Päckchen Spaß dabei. Ich trat das Gaspedal symbolisch bis aufs Bodenblech durch und betete für eine freie Runde. Zur Unterstützung korealisierte ich eine telepatische Verbindung mit meinem allwissenden Altreifenstapel hinter meiner Garage. Das Orakel von Hildeheim visionisierte mir tatsächlich alsbald eine freie Runde und mein Herz hüpfte vor Freude. Ich bog mal wieder auf Start/Ziel und sah niemanden. Absolut leere Piste. Diese Runde musste es sein. Ich drückte den „Es gibt kein Morgen“ Knopf, bestätigte noch kurz die Sicherheitswarnung und flog auf die Anbremszone zu.
Nachdem ich Bundy, Kevin und Gott sah (in der Reihenfolge), zählte ich in Ruhe bis drei und bremste dann. Bitte unbedingt beachten, das man hier „auf Drei“ bremsen muss, niemals „nach Drei“. Ich schalte an dieser Stelle normal drei Gänge runter, nach dem zweiten Schaltvorgang kam die Kleine jedoch so quer, dass ich den dritten Schaltvorgang vor Umlegen in die Links nicht mehr schaffte. Mein Knie streifte kurz den Asphalt, ich richtete den Boliden auf, schaltete den fehlenden Gang runter und schoss mit mächtig Speed in die Rechts. Hier kam ich weit raus, was aber durchaus gewollt war. Ich versuche derzeit, diese Kurve in zwei Scheitelpunkte aufzuteilen, den ersten direkt am Eingang, dann lasse ich mich durch die Geschwindigkeit etwas weiter raustreiben, lege spitz um, und beschleunige dann früh auf die kurze Gerade zur Hasseröder. Dabei bin ich ungefähr dort, wo die inneren Curbs aufhören, erneut ganz innen. Diese Linie gelang mir diesmal perfekt. Ich schaltete ca. 20m früher als normal einen Gang höher.
Die Anbremszone der Hasseröder war noch nie mein Ding, irgendwie finde ich hier keine vernünftige Linie. Ich bremste für meine Verhältnisse spät und weit in die Kurve, löste die Bremse kurz vor der inneren Bodenwelle und legte alle Konzentration in die optimale Beschleunigungsphase. Wenn man hier zu früh angast, kommt man auf die äußeren Curbs und muss das Gas noch mal kurz lupfen. Das wäre jetzt tödlich. Diesmal klappte alles und ich feuerte unter Vollgas mit leichtem Powerwheelie auf die Triple zu. Das ist die absolute Mutecke dieses Kurses. Ich bremste 10m später als normal und hielt die Luft an. Die erste Links fuhr ich nicht ganz innen, was entscheidend für die zweite Links ist. Man muss sich hier weiter raustreiben lassen, als man denkt, dann passt in der zweiten Links der Scheitelpunkt genial. In Höhe der dritten Links richtete ich den Boliden auf und stauchte ihn auf der Bremse übel zusammen. Einen Gang tiefer ging es in die lange Rechts. Hier ist es am Kurvenausgang etwas rutschig, aber mein K2 war immer noch auf göttlichem Gripniveau und ließ mich nicht im Stich. Ungefähr auf halber Strecke zur Schikane visierte ich die ersten Curbs an und verließ den linken Rand der Strecke. Ich gehöre zu den Erdlingen, die in der Schikane über beide Randsteine ballern. Zu beachten ist hier die Regel „Die Schlauen nehmen die Blauen“. Wer jemals die roten Curbs erwischt hat, weiß, wovon ich rede. Auch diese Ecke traf ich ausgewiesen gut. Erste Vorfreude machte sich unter meinem Helm breit. Über die Hälfte der Runde lag schon hinter mir und ich hatte jede Ecke so getroffen, wie ich es wollte, das könnte sie tastächlich sein, die EINE Runde.
Ein wenig Nervösität machte ich breit. Bitte jetzt keinen Verbremser oder ähnliches, schoss es mir durch den Kopf. Eingangs der Gegengerade erblickte ich in sehr weiter Ferne ein großes schwarze Loch. Mir lief es eiskalt den Rücken runter. Das konnte doch nicht wahr sein, bitte bitte bitte nicht jetzt. Schließlich musste ich der Tatsache jedoch ins Auge sehen, dass da hinten Kurt Felix auf seinem Zylonentanker dahin schipperte. Bitte lieber allmächtiger Uffzynda, mach, dass der da wegkommt. Ich flog mit gefühlter Überschallgeschwindigkeit heran. Kurt schien gerade die Karte zu studieren oder schrieb nebenbei eine SMS, aber ein Rennen fuhr der ganz sicher nicht. Meine Fresse, was treibt der da? Als ich ca. 100m vor meinem Anbremspunkt war, entschwand der Flugzeugträger in der Rechts. Ich bremste hinter dem 150m Schild und hatte blanke Panik, weil dieser Bremspunkt sehr optimistisch war. Egal, das wird klappen, das wird klappen, redete ich mir ein. So war es dann auch. Das Hinterrad kam beim Runterschalten leicht quer, aber alles im grünen Bereich. Punktgenau pfeilte ich in die Rechts und bereitete mich auf das Umlegen in Schultenmanier vor, als ich das Unheil sah. Kurt Felix hatte kurz angehalten und auf mich gewartet. Er war noch nicht mal am Scheitelpunkt der Links. Fück, fück, fück, was mach ich jetzt? Innen vorbei würde mich definitiv Zeit kosten, der Weg musste außen vorbei führen. Ich hoffte, dass er mir dort wenigstens ein paar Zentimeter Platz lassen würde und warf den Boliden in die Links. Ich traf sie perfekt und war bereit, dass Gas aufzuziehen. Das Leben hätte so schön sein können, aber Kurt Felix, ich nannte ihn der Einfachheit halber Erzengel Psychopompos (Seelenbegleiter), dachte gar nicht daran, mir ein wenig Platz zu lassen. Er ließ sein Dickschiff in Zeitlupe nach außen treiben und machte die Tür zu. Ich überlegte kurz, ob ich wohl einfach durch ihn durchblasen könnte, kam aber zu dem Schluss, dass ich an diesem Eisenhaufen zerschellen würde, ohne das Kurt es überhaupt merken würde. Ich biss kleine Stücke aus meiner Gabelbrücke und wartete auf 3,4 Zentimeter Platz.
Als ich schon nicht mehr daran glaubte, öffnete sich ein kleiner Spalt auf der Aussenbahn. Ich holte alles aus meinen Schläuchen, ging außen vorbei und kreuzte sehr schnell die Bahn, um möglichst weit links vor der nächsten Rechts zu sein. Mit wehendem Knie trieb ich meine Kleine auch durch diese Ecke und flog auf die allerletzte Rechts zu. Hier bremste ich unter Missachtung aller Warnlämpchen in meinem Cockpit und feuerte schließlich auf Start/Ziel. Mein Bigblock schob mich mit annähernd Mach34 der Ziellinie entgegen, alle Augen starrten gebannt auf den Lappenzeiter...Dort stand noch eine 36,0 aus der letzten Runde, was auch sonst. Immer noch 36.... immer noch. Oh mann, dass hält ja keiner aus...pling....34,6irgendwas...nochmal kontrollieren...es blieb bei 34,6 irgendwas! Halleluja, preiset den Herrn. Das war ja wie Weihnachten, Ostern und mein Geburtstag zusammen, ich stimmte unter meinem Helm zu alten Volksweisen an und überlegte, wen ich in meiner Dankesrede als erstes erwähnen sollte. Wie ich gerade eins mit mir werden wollte, stellte ich fest, dass der Bremspunkt für die Links nach Start/Ziel schon einige Meter hinter mir lag. Boah, genug gefreut, bremsen, JETZT! Mir fiel Kurt wieder ein. Ich fluchte und nahm dabei Wörter in den Mund, die in diesem redlichen Forum niemals ausgesprochen werden dürfen. Innerhalb einer Runde hatte ich meine 34er Zeit mit Hätte,Wäre, Wenn locker auf eine 32er runtergerechnet, empfand dass dann aber doch als etwas zu übertrieben. Aber man muss ja auch noch Ziele haben
Meine Tanklampe wurde mal wieder hektisch, ich zeigte das Zeichen und übergab mich Björn als Führender der Gesamtwertung. Das Leben ist spannend...
Guten Morgen
Hajo