Teil 5
Nachdem die Rückfahrt, im Mietsprinter, zur Rennstrecke fast noch schneller ging als die Hinfahrt im beblaulichtetem Barkas war mein Respekt für Torstens Fahrkünste ins unermessliche gestiegen. Die Treue Knappin Ulli getraute sich kaum zu atmen und versuchte mir zuliebe auf der Doppelsitzbank als Konfektionsgröße 34/36 zu erscheinen.
Unser Boxenleader Karl, alias BT012SS hatte indessen die Fahne hochgehalten und beim Rennen den 13 Platz in der Open markiert. Mit seinem alten Hobel wäre sicher einiges mehr drinn gewesen, aber er war so perplex ob des Anrucken des Polesitters, dass er seinen fein herausgefahrenen 3. Startplatz beim Start des Rennens einfach nicht verlassen hat.
Torsten hat indes unser gesammtes Geraffel in Hänger und Sprinter verladen, während ich es mir schon wieder bei Bier und Beinen auf demTisch gut gehen ließ. Ulli hat sich dann tatsächlich noch einmal ins Leder gleiten lassen um die letzten Abschiedsrunden in Brünn zu drehen. Ich vermute, dass es ihr einzig und allein darum ging meine vorgelegte Zeit zu unterbieten – was ganz klar einem Frevel gleich käme. Da kleine Sünden sofort bestraft werden, ging dem 1-2-3 Ebayfan Ulli auch mal gleich der Sprit aus. Da konnte ich schon wieder lächeln.
Vor der Heimfahrt lag aber noch unsere Abschiedsnacht im Hotel Admiral. Da wir an der Strecke noch den letzten Rest Grillfleisch den Flammen geopfert haben, war es dann auch schon etwas später und somit dunkel, als wir an unserer Luxusherberge auftauchten. Der gewohnte Weg in unser Kellerverlies verlief über den Parkplatz durch eine Doppeltür die getrost als unbeleuchtet gelten darf. So haben wir, Torsten vorneweg und Lebendgehhilfe Ulli, mit mir unterm Arm hinterher, uns zielstrebig auf besagte Tür zubewegt als sich plötzlich und ohne Vorwarnung ein Monstrum von Rottweiler auf uns zusprang. Das Vieh hatte irgend so ein Menschenhasser an einer Säule geparkt um uns die „wir sind böse Nummer“ vom einchecken heimzuzahlen. Im ersten Moment erstarrt man zur Salzsäule wenn Zähne mit Fell ringsrum auf einem zuspringen. Meine Crew war wenigstens gedanklich schon über den Zaun gesprungen – ich hatte noch nicht mal ne Krücke um mich zu wehren. Wenn das kein Scheißtag ist?!
Zum Glück war das Monster angekettet und trug auch noch einen selbstgeschweißten Maulkorb. Während ich das Vieh als leichte Beute noch ablenkte hat sich Torsten im Rücken des Ungeheuers durch die Tür geschoben und erstmal richtig Licht gemacht. So ließ sich die Lage schon besser beurteilen.
Inzwischen schimpfte auch jemand in dieser Kehlkopfkrankheit Tschechisch lautstark mit der Töhle. „Warum kommt der Sack nicht raus und nimmt den Hund mal eben an die kurze Leine“ ging es mir durch den Kopf . Stattdessen krakehlt dieser Einzeller weiter aus dem Off und ich bin mir bis heute nicht wirklich sicher wem diese Schimpftriade wirklich gewidmet gewesen ist. Nachdem dank dem Licht klar wurde, das die Kette nicht bis zur Eingangstür reichen würde, fühlten wir uns dem Hund wieder überlegen und knurrten einfach zurück. Das fand der Panneck aus dem anderen Kellerraum wohl völlig unkomisch und trat wild gestikulierend vor die Zimmertür. Bei der ganzen Aufregung muss ihm wohl entgangen sein, dass er zwar sein beflecktes Unterhemd stolz zur Schau trug, aber untenrum noch nicht einmal ein Zahnseidestring seinen „Pavel“ bedeckte. Als dann noch auffällig wurde, dass der Raum, in dem er sich bis eben aufgehalten hatte komplett in weiß gefliest ist, haben wir uns spontan zum Tageshöchstpreis verabschiedet und ihn sich selbst in seinem Zuchtraum überlassen. Immerhin wissen wir jetzt wo die kleinen Tschechen herkommen.
Die Nacht war ausgesprochen kurz – erst recht für mich, den passionierten „auf der Seite Schläfer“. Nix geht! So habe ich versucht ein paar Stunden auf dem Rücken zu schlafen, was mir mein eigenes Schnarchen nicht leicht gemacht hatte. An dieser Stelle nochmal meine Große Entschuldigung an meine Beischläfer.
Die Abreise ging zügig von statten. Ulli wurde von Ihrer Fahrgemeinschaft eingesammelt und wir machten uns auf um Karl, mit dem wir einen Konvoi bilden wollten nebst Hänger von der Strecke abzuholen. Die gemeinsame Fahrt klappte ganz gut solange es nicht bergauf ging. Da zog Karls 90PS Sprinter blank und wir zogen mit unserem Maxisprinter mit Tandemkoffer hinten dran so richtig von dannen. Torsten war bis zum Schluss der festen Überzeugung, dass es durchaus erlaubt ist 140 km/h in Tschechien zu fahren.
Die Gefühle waren groß und wer genau hinsah, der konnte sie erkennen - die kleinen Tränen der Freude, die sich bei uns einstellten. Zeitlich währte diese Freude noch nicht einmal bis zu Kinnspitze. Dort war das salzige Nass dann schon verdunstet. Ein Zollbeamter in grün, sichtlich genervt zum Schichtende noch erzieherische Maßnahmen ergreifen zu müssen, gab uns unmissverständlich zu verstehen dass unsere fahrt hier und jetzt beendet ist.
Wir haben die Welt nicht mehr verstanden. Es war Feiertag in Deutschland und entgegen der Aussage der Autovermietung handelte es sich bei unserem Renngespann um einen LKW.
Ich wollte den Staatsdiener schon wahrheitsgemäß wissen lassen, dass ich ihm nicht in die Augen schauen kann, weil er einen reifen Eiterpickel auf der Stirn trägt, der mich stark an meinen Ausflug an den Fuße des Vesuvs erinnert. Das Teil steht kurz vor dem Ausbruch und ich würde mich jetzt gerne in Sicherheit bringen. Da wir schon rechts ranfahren mussten, war eh klar, dass dies unsere Lage noch verschlimmern würde.
Also eben die Mitleidsnummer. Kam mir eh schon vor wie so eine Zirkusattraktion. Also quäle ich mich aus dem Führerhaus und zeige dem an sich im Recht befindlichen Beamten, das es in der Tat angebracht ist ein Krankenhaus aufzusuchen. Das Blut läuft mir inzwischen durch den Verband direkt in den Turnschuh. Dies hat nach noch mehr Aufwand für den Verzollnix ausgesehen und so ließ er uns ziehen. 20km Autobahn (mit Hänger) und dann Abfahren. Er entließ uns aber nicht ohne Warnung. Wenn wir uns im Krankenhaus nicht einfinden würden, gäbe es mächtig Ärger.
Das Lächeln gefror uns recht schnell auf den Lippen. Schon an der nächsten Ausfahrt wartete ein grün-silbernes Auto mit bunten Lichtern auf dem Dach und überprüfte doch glatt ob wir uns an die Weisungen halten. Wie wenig Probleme muß ein Land haben, wenn mehrere Beamte sich über Stunden damit befassen, ob wir mit unserem Puppenstuben-LKW auch wirklich das Fahrverbot einhalten?!
Endlich durfte ich ein deutsches Krankenhaus in Deutschland betreten. Ich glaubte mich gerettet. Die Dame an der Aufnahme war überaus freundlich und ich konnte jedes Wort von Ihr verstehen. Das Leben kann so schön und einfach sein – bis sich die Tür öffnete und ich meinen Arzt erblicke. Aus Watzlav wurde Igor. Die tiefste bayrische Provinz, der Inbegriff konservativen Denkens hält für mich einen russischen Arzt bereit. Prost Mahlzeit. Ich war bedient, obwohl er ja leidlich zu verstehen, aber wenig motiviert erschien.
So wurde mir der Verband abgenommen und erstmal nach alter, russischer Manier eine Alkoholhaltige Flüssigkeit direkt aus der Flasche schwapp-schwapp auf die Wunde gegossen. Wenn ich es nicht schon gewesen wäre, dann dürfte der Arzt zumindest ab diesen Zeitpunkt mit meiner vollen Anwesenheit rechnen. Torsten fand das recht unterhaltsam und knipste mein Leid mit vollmundig in die Runde geworfenen Kommentaren.
Zu diesem Zeitpunkt fiel er mir erstmals auf. Seine Anwesenheit war mir zuvor tatsächlich entgangen. Der Tod auf Latschen!!! Da stand auf einmal eine 175cm große Figur mit max. 45kg Lebendgewicht im braunen Pullunder UND Pilotenbrille. Scheiße, die Lage scheint ernst zu sein! Doch halt, moment. Der Kapuzenmann heißt doch Kapuzenmann, weil er im schwarzen Mantel mit eben einer Kapuze erscheint um die von uns scheidenden abzuholen. Der hier hat zwar auch Untergewicht trägt aber eine Cordhose die wohl auch von alleine stehen würde und hat ganz klar keine Sense bei sich.
Dann muß es sich wohl um ein Sozialprojekt handeln, bei dem sich Ärzte todgeweihten annehmen und ihnen in den letzten Tagen noch einen Lebensinhalt geben. Finde ich prima, aber unheimlich ist der Knabe trotzdem.
Wie sollte es anders sein, der Russe wollte auch Röntgenbilder von mir. Wir verständigten uns darauf nur welche von der Halswirbelsäule zu machen, da mein Kopf immer liegen bleibt, während sich der Rest von meinem Körper zum aufstehen erhebt. Da scheint also auch etwas im Busch zu sein. Dann trat das ein, was keiner für möglich gehalten hätte: Das Sozilprojekt, die Sterbehilfe auf 2 Beinen erwies sich in Wirklichkeit als Röntgenarzt. Mir lief es jetzt eiskalt den Rücken runter.
Frankenstein (so habe ich meinen hageren Freund getauft) schnappte sich kurzerhand meine Trage, wobei zu erwähnen ist, dass ich da immer noch drauf gelegen habe. Es ist angewandte Physik, die einem jeden sofort klarmacht das dieses Experiment nicht gut gehen kann. 45kg versuchen einen 90kg Brocken, einhändig, unter Zuhilfenahme eines Hebels (Trage) unfallfrei um drei 90° Kurven zu fahren. Die Trägheit der Masse (das bin ich) war dafür verantwortlich das die Trage aus jeder Kurve getragen wurde und gegen Wände und eine Tür geschleudert wurde. Ich hatte echte Probleme meine überstehenden Extremitäten schnell genug einzuziehen, damit ich nicht noch weitere Verletzungen davontrage. Die anschließende Aufforderung mich mal eben von der Trage auf das Röntgenbett zu legen hab ich mit Humor ertragen. Der Kerl hatte mich zur Hälfte unter das Röntgenbett gefahren und körperliche Hilfe war von ihm nun wirklich nicht zu erwarten.
Die Höllenfahrt und mein bedienter Gesichtsausdruck haben den X-Ray Ritter vollends verunsichert. Mit zittriger Hand und ebensolcher Stimmer hat er das monströse Gerät auf mich ausgerichtet (ick schwöre) und ist im Nachbarraum entschwunden.
Weit schneller als Karls Reaktion beim Start der Openklasse erfolgte mein Alarmton in Form eines Tarzanähnlichen Schreis. Ich blicke an mir herunter und sehe das schwarze Zielkreuz direkt auf mein Gemächt ausgerichtet. Kein Bleigurt, gar nichts, einfach direkt rauf. Den Schrei hat dann auch Torsten mitbekommen, der mich 400m entfernt in Sicherheit glaubte.
Der Strahlenjunkie selbst kam flink wie ein Zäpfchen ins Zimmer geschossen, was man ihm so gar nicht zugetraut hätte. Davon abgesehen, das er der Untersuchung beiwohnte, war er felsenfest davon überzeugt, dass der russische Arzt LWS (Lendenwirbel) und nicht HWS (Halswirbelsäule) gesagt hätte. Das ist als wenn der Blinde dem Tauben eine Farbe erklären will. Für mich waren beide nicht zu verstehen. Der Russe nuschelte nawees und der Junkie stotterte doch tatsächlich „Jetzt haaaaaab-b-b-b-en sie schon wie-wie-wieder L-L-L-L-L-W-SS gesagt. Di folgenden 3 min. hat der Röntgenfutzi mir versichert das er noch nicht auf den Auslöser gedrückt hätte. Nicht das ich nochml vorhabe Vater zu werden, aber so ein paar Jahre soll der olle Füller schon noch funktionieren.
Meinen Halswirbel konnte er im Liegen nicht röntgen. Klasse, nachdem ich mich unter Qualen auf seinen Röntgomaten gezwängt hatte. Jetzt kam die Entwicklungshilfe voll zum tragen, die wir Bundesbürger über Jahrzente nach Bayern gepumpt haben. Das Röntgenbett richtete sich elektrisch auf. Eine Supererfindung ist das. Zumindest bis der Winkel die 45° Grenze noch nicht überschritten hat. Auf einmal wurde mir bewusst, das ich das linke Bein nicht wirklich belasten kann, was ich sicherheitshalber auch gleich noch mal zur Erinnerung in den Raum gerufen habe. Das Glühwürmchen meinte ich könne mich ja an der Seite festhalten. Der Griff zum Festhalten muss wohl auf der rechten Seite des Bettes gewesen sein, wo ich dank meiner Schulter eh nix abtasten, geschweige denn festhalten konnte. Kurz bevor ich stumpf nach vorn aus 45cm Höhe vom Bett gefallen bin, konnte ich auf dem rechten Hacken balancierend mein Gleichgewicht halten und die letzten 2 Bilder über mich ergehen lassen. Jetzt war der Schwarzweißknipser so richtig in Fotolaune und wollte gleich noch mal die Schulter knipsen. Fotos 4 und 5 wären das dann gewesen. Hier wurde es mir dann zuviel. Ich habe die Karussellfahrt für beendet erklärt und bin erstaunlicher Weise ohne Verletzung dem aufgebahrten Röntgomaten entstiegen. Die Heimfahrt ins Behandlungszimmer mittels des angebotenen Autoscooters habe ich dann auch gleich mit abgelehnt. Schon klasse. Etwas Wut und Adrenalin im Blut und schon sind alle Schmerzen verflogen. Zu meinen Klamotten konnte ich tatsächlich selbst gehen. Nachdem der Untersuchungstermin ein jähes Ende gefunden hatte, haben wir beschlossen in einem flauschigen Landgasthof etwas Nahrung zu uns zu nehmen. 22:00 Uhr und damit das Ende des Fahrverbots lagen noch weit vor uns.
So haben wir uns um 17:00 zum Essen eingefunden, haben ein Steak aus eigener Schlachtung mit Rösti bestellt und sind einen Gammelfleischskandal mit Kartoffelfragmenten aus der Tüte später wieder gegangen. Um 17:45 fuhr ein Gespann aus dem Hochsauerlandkreis einsam gen Nordwesten, der Zivilisation entgegen.
Was vollends meinen Glauben in das Gesundheitssystem zerstört hat, sollte sich am Folgetag in meiner Heimat zutragen. Immer noch mit Gummihandschuh im Bein eingenäht suche ich die ambulante Notfallaufnahme im Krankenhaus einer westfälischen Kleinstadt auf. Es war gegen 18:30 und mein Hausarzt hatte schon länger Feierabend.
Die Dame an der Aufnahme recht freundlich bat noch kurz Platz zu nehmen. Es wird schnell gehen, da außer mir niemand warten würde. Ich wartete 20min. und auch 30min. Erst als meine bessere Hälfte zart angefragt hatte, wann es denn nun losgehen würde bemühte sich eine Assistentin meine Daten aufzunehmen. Klar, das die EC-Karte ganz vorne an steht. Der Doc muß ja schließlich bezahlt werden, bevor irgendetwas passiert. Da höre ich auch schon einen Pieper. Oh, ein Notfall, da muss der Doktor wohl gleich los. Darauf entgegnete ich, dann könne ich ja gehen, weil über Nacht hätte ich nicht vor zu bleiben. Soviel Zeit hätte er dann doch noch“ war ihre prompte Antwort. Und dann kam er. Hochroter Kopf und glasige Augen. Geht an mir vorbei und wendet sich sogleich der soeben nach mir eingetroffenen Person zu, die von einem leichten Husten geplagt war.
Den Hinweis der Schwester, dass ich schon länger wartete, parierte er salopp: „Sie sind ja schon versorgt, da darf ich Sie gar nicht behandeln“ Das muß wohl eine Anspielung auf meine käuflich erworbene Schlinge für den Arm und der Halskrause gewesen sein.
Mir blieb nichts anderes übrig als ihm zu ermuntern das Kind doch beim Namen zu nennen. Er hätte am späten Nachmittag keine Lust etwas zu arbeiten und möchte sich vermutlich wieder schnellstmöglich seinem hochprozentigen Seelentröster widmen.
Das hatte ihn offensichtlich persönlich getroffen. Als er mir dann erklären wollte, es wäre meine Pflicht JETZT einen Arzt in meinem Ort aufzusuchen, war vollends klar, das dieser Arzt realitätsfremd am Leben teilnimmt. Zu dieser Zeit sind nun wirklich alle Praxen geschlossen. Von so einem „leicht entflammbaren“ wollte ich mich auch nicht behandeln lassen. 2 Tage später wusste ich das dieser Typ Chefarzt der Chirurgie des Hauses ist. Seitdem trage ich ein Schild um den Hals wo ich keinesfalls behandelt werden will.
Fazit: Sitzen bleiben macht einfach mehr Spaß.
Wir sehen uns in 2008

)