Ein arg strapazierter Begriff.
Er passt aber gut zu dem, was sich in einem kleinen Dorf, nahe der Schwäbischen Alb zutrug.
30 der Raserei völlig verfallene und wild aussehende Gestalten enterten eine bis dato noch unschuldig dreinblickende Kartbahn. Sie würde heute ihre Unschuld verlieren, das konnte man unter den buschigen Augenbrauen der glorreichen 30 deutlich erkennen.
In der Anmeldung wurde eine Zahl erwähnt, die alles verändern sollte: 13.
Man mag ja, wenn man abergläubisch ist, diese Zahl nicht unbedingt mögen, doch die rasenden 30 freuten sich wie kleine Knirpse auf dem Weg zur Schokoladenfabrik, weil sie es mit der 13 zu tun bekommen sollten.
Wer sind nun diese verrückten 30? Was ist das Salbadern um die 13?
Es sind Hobbymotorradrennfahrer, wie Du und ich, die es einfach nicht aushalten, den Winter ohne ein ordentliches Rennen und dem obligaten Jägerlatein danach zu verbringen. Menschen, die deren wichtigstes Ziel, also der Hausbau, die Frau glücklich machen, Karriere im Job, zur totalen Nebensache degradieren, wenn es im Internet schallmeit, daß es wieder einen Kartevent gibt und man sich die winterstarren Muskeln blau und grün färben kann.
Männer also. Nein. Das vermeintlich schwache Geschlecht hat die Segnungen des Adrenalins und das befriedigende Gefühl der Abgabe aller Vitalfunktionen an das Reptiliengehirn schätzen gelernt.
Zwei Damen wollten den 28 Männern ordentlich heimleuchten. Respekt!
Gefahren wurde mit 13PS starken Karts.
In der Halle.
In einer kleinen Halle.
Ein Wohnzimmer quasi.
Wenn man diesen Bolzen die Sporen gibt, dann steht man augenblicklich auf der anderen Seite der Halle und sucht hektisch nach der Bremse.
Damit der Magen der rasenden 30 nicht untätig in sein Elend getrieben wurde, spendierte ein großer Veranstalter von Renntrainings das komplette Catering. Nennen wir diesen Veranstalter der Einfachheit halber und um keine Schleichwerbung zu machen Speer Racing. David von Speer Racing ließ Gulasch- und Erbsensuppe kredenzen, später am Abend durfte man sich an Hähnchensticks und Minibuletten laben. Die Weichen waren gestellt, alle Anzeichen standen auf Sturm.
Den Streckenbetreibern wurde zum ersten Mal mulmig, als die meisten der Anwesenden 30 beim Erklären der blauen Flagge nur mit den Schultern zuckten. Sie würden erst nach bitterem Kampf nachgeben, so viel war klar. Gleiche Runde oder nicht, egal, Hauptsache ein geiler Fight.
Wortlaut eines Teilnehmers: "Natürlich kenn' ich die blaue Flagge, ich ignorier' sie nur immer!"
Also gut.
Die Trainingsläufe standen an. Fast alle der rennsportbegeisterten 30 kannten das Fahrgefühl mit den 13PS Kanonen noch nicht. Nach wenigen Runden zeigte sich aber die Grenzerfahrung, welche die meisten bereits auf vielen Rennstrecken der Welt gemacht hatten.
Sie drifteten herzerweichend um die Startziel Kurve, später liebevoll "Betoneier-Eck" genannt.
Die harten 30 fuhren sich ein.
Das Personal fühlte sich wieder mulmig.
Die Karts leisteten Schwerstarbeit.
Nach dem ersten Kennenlernen suchten die wilden 30 ihre Teampartner, die sie vorher zugelost bekamen. Ein 2-Stunden Rennen stand an. 3 Fahrer bildeten ein Team. Jeder durfte also zweimal 20 Minuten raus. Mit einem 6,5PS Kart stellt das kein Problem dar, doch mit den 13PS Bodenraketen suchten einige der schnaufenden 30 schon die Seite im Ausredenbuch, die zu ihrer Situation am besten passt. Ehrfurcht in machem Augenpaar gesellte sich zur Zukunftsangst.
"Die Dinger sind so krass, meine Unterarme sind betonhart!", hörte man aus manchen Teambesprechungen heraus. "Ich krieg' keine 10 Minuten hin, das freie Fahren hat mich schon fast zum Arzt getrieben.", sagte einer der Fahrer im Vertrauen zu mir.
Die Strecke hat keinerlei Stellen, an denen man sich ausruhen kann.
Wenn man mit dem Gaspedal eines 6,5PS Karts bereits Dellen in die Vorderachse drückt und einfach voll ums Eck rauscht, ist man mit dem großen 13PS-Bruder an der gleichen Stelle mit starrem Blick, seitlich ausbrechendem Heck und wilden Gegenlenkbewegungen beschäftigt. An Vollgas ist nicht einmal zu denken.
Chronologie des Rennens
Start!
10 Fahrer nehmen die 2-Stunden Distanz unter die Räder.
Startplatz eins und zwei sind so in ihre Diskussion vertieft, daß sie den Start völlig verschlafen.
Erstes Gemetzel in Kurve zwei.
Lacksplitter und Kunststoffteile mischen sich in den Geruch von verbranntem Benzin, Haut und Reifen.
Zweites Gemetzel in Kurve drei. Das kann ja heiter werden.
Die Offiziellen sehen demonstrativ weg, alles fair gelaufen.
Der Autor vermutet, sie wollen, daß es schnell vorbei ist.
Drittes Gemetzel in der Kehre am Ende der Halle.
Die Offiziellen sehen weg.
Kart 11 kommt wild driftend als Führender aus Runde eins.
Der Rest der Meute driftet mindestens genauso wild hinterher.
Nach 10 Minuten der erste Fahrerwechsel.
Der Mann kann kaum noch die Hände bewegen, seine Arme gleichen unbeweglichen Hafenpollern.
Nach und nach wechseln alle Teams durch.
Die Fahrer des ersten Turns beginnen dem Autor von härtesten Zweikämpfen zu berichten, wilden Fahrzuständen und auch sonst viel Programm auf der Strecke.
Der Autor hört Wörter, die man nur vollgepumpt mit Adrenalin in solcher Häufigkeit benutzt:
"Krass, Alter, das ist endgeil, ich verreck'. Meine Arme sind hart wie Kruppstahl und ich hab überall blaue Flecken. Aaaalter... iss das geil hier. Ich geh mich jetzt mal setzen, mein Rücken ist glaub' ich gebrochen. Aaaalter... das Du nicht mitfahren kannst ist ja echt schade. Aaaaalter... ist das krass geil hier!" Ich wünsche ihm Fliegenmaden unter die Haut, weil er mein verletzungsbedingtes Absagen erwähnt. Dafür werde ich ihm beim nächsten Aufeinandertreffen im Überholvorgang ein Blumenmuster auf den Helm malen.
Die ersten Fahrer beginnen schief zu gehen. Einer humpelt.
Die Mutter meines Sohnes kommt von ihrem Turn ins Bistro:
"Ich hab' ein Schleudertrauma. Ich bin einem, der sich gedreht hat, hinten rein. Gerade als ich stand, knallt mir ein anderer voll ins Heck. War wie bei Dir im Auto, als Du Dich in der Böschung überschlagen hast. Mir tut alles weh."
Ich nehme mir vor, meine Frau ein klein wenig zu trösten, sie wegen Ihres Vergleichs ein klein wenig weniger lieb zu haben und mich auf jeden Fall bei Demjenigen bitter zu rächen, der meine Frau von hinten angebumst hat.
Inzwischen sind deutliche Verschleißerscheinungen bei den einst so glorreichen 30 zu erkennen.
Apathische Blicke, reglose Körper auf Stühlen und Böden, gestammelte Getränkebestellungen, starker Schweißgeruch... es wird Zeit, daß die zweite Stunde des Rennens beginnt.
"Geht's noch lang?", fragt mich einer der Fahrer. "Noch eine Stunde!", rufe ich zu ihm und sehe, wie sein Augenlicht bricht. Aschfahl verläßt er das Bistro.
Doch es gibt auch konditionsstarke Fahrer. Sehr schnell sind sie noch dazu.
Sie stanzen eine tiefe 27er Zeit nach der anderen in den Belag.
Von außen sieht die Fahrerei sensationell und sehr gefährlich aus.
Die Piloten zirkeln millimetergenau im Powerdrift an der Bande entlang.
Einer nicht.
Er schlägt am schnellsten Streckenabschnitt übersteuernd in die Außenbegrenzung ein.
Nach einem eingedrehten, doppelten Toeloop und einem fantastisch ausgeführten Ausdemsitzheber kommen Kart und Mensch zischend zum Stehen, freilig weit weg von der Einschlagstelle.
Das Rettungsteam beeilt sich, die anderen Fahrer zu stoppen, denn wer einmal mit Volllast in das Eck eingelenkt hat, braucht freie Bahn. Ist wie mit einer Kugel, die abgefeuert wurde. Da kann man auch nichts mehr machen. Ballistik halt... aber mit einem Kart.
Dem Fahrer ist erstaunlich wenig passiert, seine Hämatome werden erst am nächsten Tag ihre volle Pracht erreichen, das Adrenalin sorgt für ein angenehmes Gefühl und betäubt die Synapsen, die den Schmerz in Massen ans Gehirn senden.
Die letzten Runden brechen an.
Einige Fahrer haben ihre Teams verlassen und stieren leer vor sich hin.
Ein hochfequenter Muskeltonus überlagert alle ihre Bewegungen.
"Das ist brutalste Übersäuerung!", ruft mir einer der Ausgeschiedenen zu.
Das Rennen ist aus.
Kart 16 gewinnt mit einer überzeugend konstanten Leistung.
Alle anderen sind auch Sieger, denn sie haben sich getraut.
Die Siegerehrung ist ein Fest aus Jubel, Anerkennung, Alkohol und sonstiger, betäubender Substanzen, wie z.B. retinaablösendes Äußeres. Chronologie Ende
Ich bin stolz, so viele, verrückte, liebe, emotionale und großartige Menschen kennen zu dürfen.
Danke.
Und damit Ihr es wisst: Ich werde beim nächsten Kartrennen unter Euch Heinis entsetzlich wüten... so!