Seid gegrüßt Motorsport Freunde,
ich bin zurzeit recht eingespannt mit der Masterarbeit und deshalb viel im Motorenlabor am Motorprüfstand, Zeitplan wie immer knapp. Aber dieses Thema will ich noch abschließen und nicht auf meinen großen Stapel der 'noch nicht geschriebene Projekt-Beiträge' legen, wäre doch schade darum. Das wird dann wohl mein letzter größerer Post bis August
Zum eigentlichen Thema, wie kann man die RS660 stärker machen, ohne gleich den ganzen Motor zu zerlegen?
Die gefrästen Inlays + Abstimmung machen ja schon mal einen guten Job und die Rückmeldungen bisher sind recht positiv. Die vorher/nachher Messungen sprechen für sich selbst
Am Hinterrad ~95PS sind für einen Twin der Größe schon mal nicht schlecht, aber eigentlich zu wenig für diese Größe der Ventile und Drosselklappen (2x33mm/48mm). Denn in diese Region kommt man mit der SV650 auch schon für nicht mal die Hälfte der Kosten und da ist alles wesentlich kleiner (2x31mm/43mm), siehe Projekt aus 2019.
Es wurde mit Strömungsvergleichen zu Hayabusa und S1000RR gezeigt, dass da eigentlich mehr drin sein, bzw. rauskommen sollte. Was kann man also noch am Serienmotor der Aprilia von Außen ändern?
Genau! Die Nockenwellen! Ich will garnicht sagen die Seriennocken der RS660 wären schlecht, aber für Rennsport Anwendung sind die Steuerzeiten etwas zu kurz und mehr Hub wäre auch schön. Sowas gibt es aber leider nicht zu kaufen, wie so oft.
Also wurden komplett neue Auslass und Einlassprofile entwickelt mit dem hübschen Namen 'Aprilia Corse'
Die Positions Darstellung ist jetzt nur exemplarisch zum Vergleich, so könnte man die Nocken nicht verbauen, da würden Kolben und Ventile einen unteilbaren Klumpen bilden. Die Steuerzeiten sind nur ein bisschen länger geworden, um die mittlere Drehzahl nicht groß zu schädigen, aber der Hub ist ziemlich gewachsen. Das ist nah an der mechanischen Würg Grenze, was mit dem originalen Ventiltrieb machbar ist. Manche Abstände sind damit auf Zehntel Millimeter ausgereizt und das soll dann 12000rpm drehen, ob das geht? Das geht.
Deswegen wurde die gefertigte Nocke auch nochmal genauesten nachgemessen, um die richtigen Steuerzeiten zu finden ohne, dass sich der Testmotor in Schall und Rauch aufgeht. Hübsche 11,5mm Hub, da würden sich viele Nocken gerne eine Scheibe abschneiden, zum Vergleich meine SV650 wurde damals mit 8mm Hub ausgeliefert. Nockenhub alleine ist aber natürlich kein Zaubermittel, der Motor muss das auch durch Schleusen können.
Und was stellt man dann einen Tag vor Abfahrt fest? Die Nockenwellen sind im Grundkreis natürlich kleiner durch das Umschleifen und dafür braucht es dickere Shims zum Ausgleich. Nur leider sind die Serien-Shims schon relativ dick und es gibt nicht mehr allzu weit Luft nach oben zu kaufen. Das Ventilspiel wäre also viel zu groß gewesen, ohne passende Shims. Was macht man in der Zeitnot? Aufgeben und alles abblasen?
Sicher nicht!
Also ran an die Maschinen und auf die Schnelle einen Satz Adapter Shims aus Werkzeugstahl gefertigt. Verschiedene Abstufungen um sie auf kleinere Japan Shims zu setzen und sicher etwas Passendes dabei zu haben. Die Adapter wurden dann klassisch gehärtet -> Glühen, in Öl abschrecken (schwarz) und dann im Ofen Anlassen (goldgelb) um Spannung zu reduzieren und Bruchdehnung wieder zu erhöhen. Somit war dieses Problem gelöst, passende Shims.
Das ist die Testmaschine. Serien RS660 mit Arrow Komplettanlage, von welcher die 84PS Hinterrad Basismessung stammt.
In diesen Serienmotor, wo bereits die gefrästen Inlays verbaut sind, wurden die scharfen Nockenwellen eingebaut. Ich kann Euch sagen, die Steuerzeiten an der RS660 mittels Messuhr einzustellen ist eine (Straf)Aufgabe für sich. Keine Stelle wo man die Gradscheibe einfach Platzieren kann (kurzerhand geklebt), noch dazu kommt, wenn man die Nockenwellen wieder rausnimmt und zurück einbauen will (zb. zum Ventilspiel einstellen), dann müssen die Kettenräder ab und die ganze Einstellung ist verloren. Da waren wir ziemlich lang beschäftigt, bis es endlich auf den Prüfstand ging.
Aber die ganze Arbeit bis zu diesem Punkt hat sich ja dann endlich gelohnt, oder? Pustekuchen
So blöd haben wir alle vermutlich lange nicht mehr geschaut. Kein Unterschied zu den Serien Nockenwellen, zumindest nicht der Rede wert. 1PS mehr am HR ist ja fast schon eher Reifen Temperatur Toleranz.
Sogar der ganze Verlauf ist identisch.
Da kam relativ schnell die Frage auf, haben wir uns vertan und die Serien Nockenwellen aus Versehen eingebaut?

Nein so war es nicht, sind schon die richtigen, aber was war da los?
Naturgemäß hätte sich so ein Verhalten der Leistung einstellen sollen mit den schärferen Nockenwellen. Die Mitte leidet etwas und der obere Bereich gewinnt entsprechend dazu.
Quelle: TST Industries
Jedoch wurden die schärferen Nocken nicht in die selbe Position (Lobe Center) gesetzt, wie original. Es wurde tendenziell mehr Ventilüberschneidung verwendet und der Einlassventil Schluss kaum verändert. Daher ist es plausibel, dass die mittlere Drehzahl wie die Serie verläuft, aber wo zum Henker bleibt die Spitzenleistung???
Da musste ich erstmal drüber nachdenken.
Bei der Spurensuche ist dann folgendes in den Daten aufgefallen. Bei hoher Drehzahl bricht der Saugrohr Druck immer wieder gegen Ende ein. Man sieht die gleichbleibende Gerade nahe Atmosphärendruck und gegen Ende fällt sie um bis zu 100mbar (Skala fehlt leider, wäre zu weit rechts). Das ist überhaupt nicht gut, denn es zeigt der Motor möchte mehr ansaugen, als er bekommt. Übrigens sieht man auch unten wie die RS die Drosselklappen Drehzahlabhängig öffnet, 100% Gasgriff ist nicht gleich eine voll offene Klappe - > Problem ein eindeutiges Zündungskennfeld zu definieren, hatte ich ja letztens angesprochen. Für die Serie nicht schlecht, für Umbau aber schon.
Das Druck absinken ist jetzt kein Phänomen nur von der RS660, sondern eher der natürliche Lauf der Dinge. Sonst würde Drehmoment nach dem Erreichen des Maximums ja einfach konstant oben bleiben und nicht abfallen, wie es normal ist. Der Motor kann dann einfach nicht mehr genug Ansaugen für eine komplette Füllung, die Drehzahl steigt aber weiter und somit muss das Drehmoment abfallen.
Jedoch sollte die RS da noch Luft haben mit den großen Löchern, war zumindest die Annahme. Nur wo liegt der Strömungswiderstand?
Eine naheliegende Vermutung wäre, der Ansaugweg könnte zu lang sein. Hier ein Blick in den langen Schlund der RS.
Das würde erstens bewirken, dass die Gassäule nur schwerfällig auf Geschwindigkeit kommt. Diese kinetische Energie wird aber benötigt, um bei hoher Drehzahl den Brennraum zu füllen, nachdem der Kolben unten angekommen ist und das Einlassventil noch offen ist, Nachlade Effekt genannt. Zweitens wird es für das Gas mit steigender Länge immer schwerer da durchzufließen. Man kann sich das folgendermaßen vorstellen, wenn man von einem Gartenschlauch eine Hand breit abschneidet und durch pustet, dann geht das relativ leicht. Wenn man jetzt allerdings durch die ganze Garten Länge durchblasen will, stellt man mit rotem Kopf fest, da geht fast nichts!

Das liegt an der sich aufbauenden Grenzschicht und deren Ablösung mit deren Turbulenzen, nach einer gewissen Länge einen Widerstand für die Strömung erzeugt, in einem Rohr wird des ab der Reynoldszahl von 2300 kritisch. Diese Zahl beschreibt das Verhältnis von Trägheits- zu Zähigkeitskräften in einer Strömung.
Um diese Theorie zu überprüfen, bietet sich ein Test an, indem man das lange Gummi Stück hinter der Einspritzung gegen ein kurzes Alu Drehteil ersetzt, die Airbox tiefer setzt, kein Luftfilter und kurze Trichter montiert. Wie gesagt, nur für den Prüfstand. Leider lassen sich die Inlays dann nicht mehr verwenden, sie würden die Einspritzdüse verdecken. Das ist dann gleichzeitig der zweite Test, stören die Inlays bei voller Leistung den Durchfluss?
Vorsicht! Nicht zu früh freuen, die obere Linie in blau der Messung ist
nicht dieser Verkürzungs Tests, sondern leider das beste Ergebnis der Inlays vom letzten Mal.
Blau ist das Ergebnis mit Inlays und Serien Nocken,
rot ist die komplette Serienmessung und
grün ist der kurze Länge-Test ohne Inlays aber mit Race Nocken. Nicht gerade ein schönes Ergebnis, auch wenn sich 91PS deutlich mehr als 84PS anhören. Der Drehmomentverlauf ist nicht wirklich wünschenswert und der Drehzahlbegrenzer gleichzeitig die höchste Leistung, garnicht gut. Aber es ging nicht darum eine schöne Kurve zu schaffen, sondern um Ursachenforschung und dafür war der Test dennoch aufschlussreich.
Denn jetzt weiß man erstens, die Inlays bringen wirklich einiges und sind kein zu großer Widerstand, im Gegenteil, sie beschleunigen sie. Zweitens die Länge des Kanals ist nicht das Problem und sie passt relativ gut zur Charakteristik der Aprilia, denn ein recht viel höherer Begrenzer geht kaum. Drittens, es liegt immer noch ein Druckabfall im Kanal vor.
Aber wo liegt denn dann der Hund nun begraben?
Gehen wir ein paar Schritte zurück, vor zwei Jahren hab ich den RS660 Kopf analysiert und mit der BMW S1000RR verglichen. Man sieht große Unterschiede im Verlauf, aber eine Besonderheit fällt besonders auf. Ventile und Drosselklappen sind zwar gleich groß, aber die engste Stelle ist bei der Aprilia eine Ecke größer.
Deshalb müsste man auch davon ausgehen, dass auf der Flow Bench bei der Aprilia mehr durch fließt, oder? Leider ist dem nicht so.
Korrigiert man den Durchfluss auf die Fläche der engsten Stelle, sieht man erst wie riesig die Unterschiede sind, die BMW ist deutlich besser im Durchfluss pro Fläche.
Und das bringt uns zu der wahrscheinlichsten Antwort. Die Race Nockenwellen können ihre Stärke wohl nicht ausspielen, da die Aerodynamik des Serien RS Kanals im engen Teil am Ende zu sein scheint, quasi einen Gartenschlauch bildet, wie eine Luftblende. Denn eine Blende im Massenstrom hat die Eigenschaft, egal wie sehr man dran saugt, irgendwann bleibt der Massenstrom durch sie gleich (wie die 34PS Drosselscheiben, als ich den Führerschein gemacht habe).
Das bedeutet leider, die Fahnenstange am Serienmotor ist wohl erreicht. Scharfe Nockenwellen machen keinen Sinn für die RS ohne Kanaländerung, die Serien Nocken ist vollkommen ausreichend und bildet mit den Inlays ein besseres Paket.
Man könnte jetzt natürlich weiter denken, was wäre wenn? Es könnte eine Form für den RS660 Zylinderkopf entwickelt werden, die sowohl die Inlays gleich mit rein implementiert und dann noch die komplette Aerodynamik (flow coefficient) verbessern, um sogar die BMW zu übertreffen. Aber dann würde ich lediglich bestätigt bekommen, was sowieso schon mit hoher Sicherheit feststeht. Von daher werde ich das erstmal nicht weiter verfolgen.
Es gibt viel interessantere Projekte, über die es sich zu berichten lohnt, glaubt mir
Wenn noch Fragen offen sind, immer gerne her damit. Ansonsten könnt ihr mir auch weiterhin privat schreiben und ich antworte bei Gelegenheit. Bis dahin, Ohren steif halten unterm Helm!