Hey Sepp,
diese Sichtweise hatte ich auch lange. Die selben Ingenieure würden den selben Bleistift nutzen, um sowohl die MotoGP als auch die Serien Sportler aufs Reißbrett zu bringen. Schöne Vorstellung jedenfalls. Dazu eine kurze Anekdote. Vor ein paar Jahren war ich mal bei Suzuki Deutschland auf Technik-Lehrgang und Firmenrundgang eingeladen. Da kamen dann die harten Zahlen auf den Tisch, denn Suzuki besteht gerade mal noch zu 1% aus der Motorrad Sparte und genauso ist auch das Firmenkonstrukt ausgerichtet. Seit vielen Jahre hinkt die GSXR ganz weit hinterher zu den anderen Sportlern, die Zeitungen philosophierten schon oft was denn in Planung sei und wann der Hammer kommen würde.. Die traurige Realität ist, es interessiert die Firma wohl einfach nicht. Desweiteren haben die Racing Ingenieure nicht wirklich was mit der Serie zu tun, die sind sogar durch hermetisch verriegelte Türen/Bereiche voneinander getrennt, da kommt kein "Normalo" rein, auch nicht wir bei dem Firmenrundgang. Generell kann man es so formulieren, wir reden da von Großkonzernen, bei denen es einzig und allein ums Verkaufen von Produkten und Dienstleistungen geht. Der Ingenieur hat nur sehr wenig zu sagen und der Rotstift Kostensparer dafür umso mehr. Das Interesse liegt eher darin, so billig wie möglich die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen und das was übrig bleibt, mit viel Marketing unter die Leute zu bringen. Ein programmiertes Feature hat dabei wesentlich höheren Stellenwert, als Geld in die unsichtbare Entwicklung oder gar Qualität zu stecken. Man kann sich da als Beispiel von Ford die TV Werbungen zur SMS Vorlese-Funktion ansehen (
Klick). Brauchen tun das wohl die wenigsten, aber man kann damit super die Werbetrommel drehen.
Und damit möchte ich die gedanklichen Bogen zur RS660 spannen. Das Marketing erzählt uns, es wäre ein halber RSV4 Motor mit mehr Hub (660ccm statt 550ccm). Ganz so einfach ist das allerdings nicht, im Detail ist da schon sehr viel anders und was gleich ist, wurde wohl eher aus Kostengründen übernommen (Baukasten Modularität). Beispielsweise ist auch der Zylinderkopf ist ganz anders gegossen, bei der RSV4 ist nur eine Nocke über die Steuerkette angetrieben und treibt über extra Zahnräder die andere an. Die RS660 hat pro Nockenwelle ein Steuerkettenrad (Siehe meine Bilder zum Vergleich)

(Quelle: Ducati SBK Forum)
Und da wo man sich die Teile der RSV4 wünscht, wie die Shower Einspritzdüsen, variable Ansaugtrichter, Auspuffklappe für steuerbaren Abgas-Gegendruck, genau da fehlen sie und das spiegelt sich deutlich im Output der RS660 wider.
Um meine These zu untermalen, die Verwendung von gleichen Bauteilen aus Kostengründen, hier noch ein Beispiel. Denn es wurden gleiche Bauteile da verwendet, wo sie so nicht hingehören, zumindest im Ventiltrieb. Die bewegten Teile eines Ventils wiegen zusammen 136g und sind damit enorm schwer. Das kommt daher weil die RS eine enorme Federkraft von 1200N (~125kg) besitzt. Zum Vergleich, die bewegten Massen einer 650er Kawasaki liegen bei 82g und die Federkraft liegt nur bei 490N. Und das, obwohl das Kawa Ventil sogar etwas größer ist als von der RS660. Die Kawa hat zwar weniger Nockenhub, aber auch deutlich kürzere Steuerzeiten, was die negativen Beschleunigungswerte wieder sehr ähnlich werden lassen und diese sind das Maß für die Federauslegung (F=m*a).
[
Diese hohe Federkraft ist komplett unnötig, man könnte mit deutlich unter 100kg auskommen bei entsprechender mechanischen Anpassung, aber wie kommt es überhaupt zu der starken Feder? Wenn man die RS Nocken analysiert und rückwärts berechnet, kommt man auf eine mögliche Drehzahl von 14000rpm, was zufällig der Begrenzer der RSV4 ist. Suprise Suprise. Genau da wo Entwicklungsarbeit geleistet werden sollte, da wird einfach nur etwas (unpassendes) übernommen, für mich erschließt sich das nur aus Kostengründen. Die RSV4 braucht diesen Ventiltrieb, vorallem auch als Voraussetzung um echte Racing Nocken zu fahren und noch mehr drehen zu können (nötige Kraft steigt im Quadrat), die RS660 kann durch ihren Mehr-Hub diese Drehzahlen allerdings nicht erreichen, also was haben die Federn dort verloren?
Das soll jetzt aber nicht meine Analyse gewesen sein, die wird etwas ausführlicher und beschäftigt sich mit einem anderen Thema
Das war nur eine Ausführung zum Thema "die Ingenieure sind doch auch keine Nasenbohrer". Das sind sie auch nicht, aber sie geben nicht den Ton an in einem Konzern.